Die verborgene Grotte
Typen zu stoppen. Aber ich komme wieder, so schnell ich kann.«
»Das wollen wir hoffen«, sagte Großvater und seufzte. »Das wollen wir wirklich hoffen.«
Als Mama verschwunden war, wurde es still im Haus. Karl hörte das Ticken der Wanduhr aus dem Wohnzimmer.
»Warum ist Mama die ganze Zeit so gereizt?«, fragte er. »Liegt das wirklich nur an den Sprengungen?«
Großvater ließ sich schwer auf einen Stuhl in der Küche sinken.
»Nein«, sagte er leise und schüttelte den Kopf. »Da ist noch was anderes. Alte Sorgen …«
Karl setzte sich ihm gegenüber an den Tisch.
»Ist Mama sauer, weil ich sie an meinen Vater erinnere?«
Verblüfft starrte Großvater ihn an.
»Karl, was sagst du denn da? Natürlich nicht! Sie ist nicht auf dich wütend. So etwas darfst du nie denken!«
Karl hörte, was sein Großvater sagte, aber es änderte nichts an diesen Gedanken, die manchmal einfach kamen. Jetzt warf er einen Blick auf die Kommode, wo ihm vor Kurzem der Brief aus Neuseeland aufgefallen war.
»Du, Großvater …?«
Es dauerte ein paar Sekunden, ehe Großvater den Blick hob.
»Was war das für ein Brief, der neulich gekommen ist? Der aus Neuseeland.«
Großvater seufzte tief.
»Das musst du deine Mutter fragen. Da kann ich mich nicht einmischen; sie hat gesagt, dass … Nein, ich kann dir dazu nichts sagen. Ende, aus.«
Jetzt war Karl sich sicher.
»Der Brief war von meinem Vater, oder?«
Großvater stand auf. Erst glaubte Karl, dass sein Großvater den Brief aus dem Küchenschrank holen würde, aber er setzte nur Teewasser auf. Es war deutlich zu erkennen, dass er versuchte, Zeit zu schinden, damit er einen Moment darüber nachdenken konnte, was er sagen sollte. Schließlich setzte er sich wieder zu Karl an den Küchentisch.
»Deine Mama weigert sich, den Brief zu lesen. Sie öffnet ihn nicht einmal. Aber das ist ihre Entscheidung, das muss sie mit sich selbst ausmachen.«
»Warum kann ich ihn nicht lesen?«
»Sie findet, dass du noch zu jung bist.«
Karl wollte Einspruch erheben, aber sein Großvater unterbrach ihn sofort, indem er eine Hand hob.
»Ihre Entscheidung. Keine gute Idee, sich bei mir darüber zu beschweren.«
»Und wann bin ich groß genug?«, fragte Karl so ärgerlich, dass Großvater lachen musste.
»Alles zu seiner Zeit.«
Was für ein typischer Erwachsenen-Spruch. Alles zu seiner Zeit. Aber Karl wollte nicht länger warten. Er wollte es jetzt wissen. Sein ganzes Leben lang hatte er sich gefragt, wer sein Vater war, aber Mama hatte sich geweigert, auch nur ein Wort über ihn zu sagen. Nur dass er im Ausland lebte, das hatte sie ihm irgendwann aus Versehen verraten. Ansonsten versuchte sie konsequent, so zu tun, als hätte er nie existiert. Was natürlich Blödsinn war, denn wie sonst hätte es Karl geben sollen?
Karl wünschte sich, die Zeit ein paar Jahre vorspulen zu können und schlagartig achtzehn oder so zu sein. Volljährig. Dann hätte er ja wohl das Recht, alles zu erfahren?
Aus irgendeinem Grund fiel ihm Miriam ein. Sie würde sich ganz bestimmt wünschen, die Zeit zurückdrehen zu können. Um das Unglück in Las Vegas ungeschehen zu machen. Um nicht mehr Madame Tod genannt zu werden. Man konnte fast meinen, dass niemand mit seinem Alter zufrieden war.
»Wünschst du dir, wieder jung zu sein?«, fragte er.
Großvater sah überrascht aus.
»Nein, wirklich nicht. Nicht für einen Augenblick.Man hat so viele Sorgen. So viel, über das man sich den Kopf zerbrechen muss.«
»Aber wenn du dich fünfzig Jahre in die Vergangenheit zurückzaubern könntest? Würdest du es dann nicht machen?«
Großvater lehnte sich in seinem Stuhl zurück.
»Die Zeit kann man nicht betrügen«, sagte er. »Und selbst wenn man es könnte, es wäre viel zu gefährlich. Weißt du nicht, wie es dem Kantor in der Spukgeschichte ergangen ist?«
Karl schüttelte den Kopf. Er sah ein, dass er heute Abend nichts mehr über seinen Vater erfahren würde.
»Hab ich das noch nie erzählt?«, fuhr Großvater fort. »Das gibt’s doch gar nicht. Na ja. Also, das war so …«
Und er fing an zu erzählen.
T anz auf meinem Grab
»In seiner Jugend war Mikloz ein vielversprechender Komponist gewesen. Er brannte für die Musik, er komponierte Tag und Nacht. Stücke für Orgel, Klavier, ja sogar für ein ganzes Symphonieorchester. Aber er wurde nie entdeckt. Niemand erkannte, welches Talent in ihm steckte.
Mit den Jahren bekam er Frau und Kinder und eine sichere Anstellung als Kantor in
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