Die verborgene Grotte
ganze Zeit hämmerten seine Hände auf die Klaviatur.
Jemand schrie vor Schmerz. Andere weinten. Aber niemand konnte aufhören zu tanzen. Im Spiegel sah der Pfarrer Menschen mit nackten Füßen auf dem harten Steinboden tanzen, weil ihre Schuhsohlen längst verschlissen waren.
Der Pfarrer versuchte nicht länger, Widerstand zu leisten. Er spielte mit blutenden Fingern und bitterlich weinend bis zum letzten Ton des letzten Notenblatts. Da endlich trat Stille ein.
Totenstille.
Der Pfarrer wollte aufstehen, aber er schaffte es nicht mehr. Er ließ den Tränen freien Lauf,ließ sie zusammen mit dem Leben aus seinem Körper fließen.
Das Letzte, was er durch einen Tränenschleier sah, als er durch das kleine Fenster der Empore blickte, war ein Mann, der auf der Bank an der Friedhofsmauer saß. Ein vornehm gekleideter Herr, der seinen Gehstock mit silbernem Knauf beiseitelegte und applaudierte.«
K apitel 10
Am nächsten Morgen war Mama noch nicht wieder zu Hause. Aber Großvater erzählte, dass sie angerufen und gesagt hatte, dass es ihr gut ging und Karl sich keine Sorgen zu machen brauche. In der Nacht hatten sie das Sprengboot nicht mehr gesichtet, aber sie hielten es für besser, noch nicht an Land zurückzukehren, schließlich konnte es jederzeit wieder auftauchen.
Karl beschloss, Miriam zu besuchen und sie zu fragen, ob sie ihm nicht heute den versprochenen Trick beibringen konnte.
Als er an der Fabrikantenvilla ankam, stand die Haustür offen. Er trat in die Halle und sah sich um.
»Miriam?«
Keine Antwort. Das Haus lag still und verlassen da. Erst dachte Karl, dass Miriam vermutlich die Haustür nicht richtig zugezogen hatte, als sie gegangen war, aber nachdem er ein paar Schrittedurch die Halle gemacht hatte, wurde ihm klar, dass es so einfach nicht sein konnte. Die Tür zu der Rumpelkammer unter der Treppe stand weit offen und viele der Sachen, die dort verstaut worden waren, lagen verstreut auf dem Boden herum. Auch die Esszimmermöbel waren umgeworfen worden, das ganze Haus war ein einziges großes Durcheinander. Karl erstarrte. Was, wenn der Einbrecher noch hier war?
Er tastete nach einer Waffe, aber das Einzige, was er zu fassen bekam, war ein alter Besen. Sollte er lieber fliehen? Die Polizei anrufen?
Er wurde das Gefühl nicht los, dass sich Pilkins’ Porträt über seine Angst lustig machte.
»Karl?«
Erschrocken fuhr er zusammen, als er die Stimme aus dem ersten Stock hörte. Miriam kam die Treppe hinunter. Sie sah besorgt aus.
»Ein Einbrecher«, sagte sie, noch bevor Karl fragen konnte. »Er ist heute Nacht hier gewesen.«
Sie hielt einen Schlagstock in der einen Hand, den sie demonstrativ gegen die Handfläche der anderen schlug.
»Aber er wurde gestört und ist abgehauen.«
Karl nickte. Er hätte auch Angst bekommen, wenn er Miriam und ihrem Schlagstock begegnet wäre.
»Haben Sie gesehen, wer es war?«
»Nein. Und darüber kann der Kerl wirklich froh sein.«
»Aber woher wissen Sie, dass es ein Er war?«
Da lachte Miriam und fragte, ob Karl eigentlich schon Kommissar oder noch Polizeianwärter war.
Wenig später saßen sie am Küchentisch. Miriam hatte Saft eingeschenkt und Karl fragte, ob etwas gestohlen worden war.
»Ich glaube nicht«, sagte Miriam. »Der Einbrecher ist nicht sehr weit gekommen. Im Wesentlichen hat er Unordnung gemacht.«
»Wonach hat er gesucht?«
»Ich habe keine Ahnung. Hier im Haus gibt es eine ganze Menge wertvoller Dinge.«
Karl sah sich um. Vieles hier hätte er eher als unheimlich denn als wertvoll bezeichnet, aber er wusste, was sie meinte. Was er anfangs für Schrott gehalten hatte, hatte sich als ziemlich kostbar herausgestellt. Außerdem war seit ihrem Einzug viel über Miriam und das Haus in der Lokalzeitung berichtet worden. Vielleicht war es also gar nicht so überraschend, dass der eine oder andere Ganove in Versuchung geraten war. Es war allgemein bekannt, dass sie eine ganze Menge wertvollen Schmuck besaß.
»Und der Kelch … Der ist unschätzbar. Aber das Gute an ihm ist ja, dass niemand weiß, dass er wirklich existiert, geschweige denn wie er aussieht. Ja, außer dir, mir und Sara natürlich.«
Miriam sah ihn ernst an.
»Aber von uns käme ja keiner auch nur im Traum auf die Idee, jemandem davon zu erzählen, nicht wahr?«
Karl schüttelte energisch den Kopf und Miriam fuhr fort.
»Bis ich also einen Tresor beschafft habe, muss ich den Kelch und ein paar andere wertvolle Sachen verstecken. Die wichtigsten habe ich schon
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