Die Verborgene Schrift
hatte seinen Fuß auf die erste Stufe der Flurtreppe gesetzt, es sah aus, als habe er Angst vor der angedrohten Belohnung. Jetzt sagte er trocken: »Ich habe keinerlei Einfluß auf die Verordnungen der Militärbehörde. Und ich würde diesen Einfluß auch nicht suchen. Selbst nicht für meinen eigenen Sohn. Ich würde mich schämen.« Er grüßte und ging ruhig die Treppe hinauf und weiter nach oben in sein Zimmer.
Martin war rot geworden da in seinem Versteck. Sorgfältig wartete er, bis er seine Verwandten leidlich entfernt glaubte, dann schlich er sich davon wie ein Bestrafter.
Dies hier war also nun zu Ende für ihn.
Abschiednehmend strich er über die herabhängenden Ranken des Rosenbogens, die ihn streiften. – – –
Draußen erreichte er dann, wider Willen, noch die Blancs. Sie standen am Ausgang der Goethe-Straße und redeten erregt aufeinander ein. Als sie Martin bemerkten, hielten sie ihn an.
»Es ist entschieden,« sagte Madame kurzatmig vor Zorn. »Wir schicken unsern Maurice nach Frankreich.«
»Wird er sich denn schicken lassen?«
»Eh, qu'est-ce vous me chantez là? Man kann doch nicht abwarten, ob Krieg wird. Als Elsässer auf Franzosen schießen müssen, impossible! «
»Impossible!« wiederholte Albert, so laut, daß die Vorübergehenden stehen blieben. »Und wir selbst werden auch fortziehen.« Er sprach jetzt Französisch. »Eine Weile wird man sich noch stillhalten müssen, dann aber kann man endlich einmal Farbe bekennen.«
»O ja, wir ziehen alle zusammen nach Paris,« lachte Madame Blanc, schon wieder ganz erheitert, und legte ihre Hand auf Martins Arm. Der machte sich unauffällig los. »Ich komme wohl noch einmal zu Ihnen,« sagte er hastig, grüßte und lief der elektrischen Bahn nach, die ihn nach seinem Metzgergießen führen sollte. – –
Zu Hause trat ihm seine Wirtin aufgeregt entgegen, der Babbe und die Mamme seien angekommen aus Vichy.
In zwei Sätzen sprang er die Treppe hinauf. Da waren sie. In seinem Zimmer. Pierre, die Hände auf dem Rücken, betrachtete die Bilder an den Wänden, Françoise, noch im Reisemantel, saß auf dem großen schwarzen Ledersofa. Ihr grauer Schleier fiel ihr gelöst und weich zu beiden Seiten herab, daß es aussah wie eine Fortsetzung ihres Haars. Sie erhob sich hastig, als sie Martin sah, und fiel ihm mit einem kleinen Schrei in die Arme, »Te voilà enfin.«
»Habt ihr schon lange gewartet?« fragte Martin, bestürzt von ihrer ungewohnten Leidenschaftlichkeit, denn sie begann jetzt fassungslos zu weinen.
» Maman ist übermüdet,« erklärte Pierre, der sich um sie mühte. »Wir haben eine abscheuliche Reise gehabt von Vichy. Namentlich die Abfahrt war erschreckend und unwürdig.« Er sah finster aus, und der Händedruck, mit dem er den Sohn begrüßte, lang und überfest, hatte etwas Feierliches.
Françoise schien jetzt wie nach einem Krampfanfall matt und dankbar. Man hatte ihr Mantel und Schleier abgenommen, ein großes weißes Kissen aus Martins Bett unter den Kopf gelegt. Nun lag sie ganz still in ihrer weißen Bluse und dem schlanken Rock von matter chinesischer Seide. Sie streichelte beständig Martins Hand. »Dich wenigstens habe ich bei mir.«
»Nun und Papa doch auch,« sagte Martin tröstend.
»Ja, Papa auch, mais Paul!« Ihre Lippen zuckten. »Warum fragt man nicht uns Frauen, ob Krieg werden soll? Wir würden es nie erlauben.«
»Noch ist ja Frieden,« sagte Martin, fröhlicher als ihm zumute war. »Niemand hier glaubt so recht an Krieg.«
»Wirklich nicht? Aber du hast recht. Hier scheint noch alles seine alte Ordnung behalten zu haben, da drüben hatte man den Eindruck, niemand stehe mehr auf seinen Füßen, alles ging auf den Köpfen. Man wurde selber schwindlig davon.«
»Die Deutschen sind eben sachlich. Sie haben keine Leidenschaft in sich.«
Pierre lächelte über das rasche Urteilen seines Jungen, aus dem irgendeine Verletztheit hervorklang, die er nicht verstand. Dann, wieder sehr ernst, erzählte er die Vorgänge in Vichy. Sie hatten noch den letzten Zug erjagt, der für die Fremden abgelassen wurde. Unbeschreibliche Szenen auf dem Bahnhof. Zusammengepfercht in luftlosen Warteräumchen, beschimpft von der Bevölkerung, am schändlichsten hatten sich die eleganten Weiber gebärdet, mit ihren Sonnenschirmen stachen sie auf die deutschen Geschlechtsgenossinnen ein, ihnen unter wüsten Beleidigungen Hut und Frisur zerraufend. Eine hatte ein blondes Lockentoupet auf ihren Schirm gespießt. Sie trug es mit einer
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