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Die Verborgene Schrift

Titel: Die Verborgene Schrift Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anselma Heine
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eine besonders schöne englische Ehrenmedaille zeigen wollen, und bei der Gelegenheit entdeckte man eine ganze Reihe ziemlich hoher Orden, die er niemals anlegte.
    »Es gibt wohl auch Ausnahmen,« sagte er wieder und fühlte sich mutig dabei, »ich kenne einen deutschen Professor, der – – – «
    »O, aber ihre Frauen!« Jeannette Blanc, die bisher wenig zu Wort gekommen war, wie von einer geheimen Wissenschaft um Martins Gedankengänge eifersüchtig gequält, unterbrach ihn hastig. »Sie reden einander mit den Titeln ihrer Männer an und setzen sich in der Reihenfolge von deren Rang zu Tisch.« Sie sah häßlich aus in diesem Augenblick. Ihr Anzug, überladen und künstlich wirkend, hatte sie in Martins Augen sowieso schon den ganzen Mittag über entstellt und ihn verstimmt, so daß er nur die allernotwendigsten Worte zu ihr sagte und das fortwährende Bedürfnis empfand, sie zu ärgern. »Nun ja,« sagte er darum auch jetzt, »bei den Deutschen sind es die Titel, denen man nachstrebt, bei uns ist es das Geld.«
    Sie sah ihn böse an. »Sie meinen wohl, Vetter, Sie müssen die Deutschen verteidigen, weil Sie mit den hochnasigen Demoiselles Hummel Theater spielen?«
    Mit Bestürzung fühlte er sich rot werden. Zum Glück stand man jetzt auf und ging in den Salon. Die Baronin setzte sich graziös in einen Lehnstuhl, zog eine dicke Zigarre aus ihrem Etui und begann zu rauchen. »Das Alter läßt uns so wenig Freuden, uns Frauen, dafür erlaubt es uns einige Extravaganzen.« Sie stützte den zierlichen Fuß an das Kamingitter. Die Enden ihres Schulterschals wogten sanft empor, die Fenstervorhange ließen ein weiches fließendes Rot herein, das sich wie eine Flut von Rosenblättern über alles Helle stürzte, daß es sommerlich durchglüht erschien. Gaston, mit seinen kleinen Händen und Füßen pagenhaft umhertänzelnd,sah aus wie Mozarts Chérubin. Albert, emporgewandten Hauptes am Klavier phantasierend, erschien wie ein Genie, Frau Blanc und Jeannette wie zwei etwas zu stark versonntaglichte Schwestern, die Baronin aber, in ihrer matten und bewußten Reife, wurde dem entzückten jungen Martin Füeßli immer mehr zur Verkörperung der Stadt Paris, der er sich nun entgegensehnte, und vor der er sich roh, rauh und unhold vorkam wie ein grober Zaungast. Wieder fühlte er das Entscheidende dieser gewitterdrohenden Tage über sich. Aber in diesem Augenblicke hatte er bereits den Weg gefunden, der ihn lockte. Nach Paris.
    Ungern nahm er Abschied, um nach der Goethe-Straße zu einer Probe zu gehen. Er war fest entschlossen, seine Rolle dort zurückzugeben.
     
    Dazu aber kam es nicht. Beim Einbiegen in die Goethe-Straße stieß er auf Helmut Hummel, der der Stadt zuging. »Ist keine Probe?« fragte Martin.
    »Probe? Ach so! Aber ich komme ja erst zuletzt daran im Stück. Ich muß in die Stadt,« fügte er ungewohnt mitteilsam hinzu. »Man braucht gute bequeme Stiefel beim Militär.«
    »Sie müßten also mitgehen?«
    »Ich bin Reserveleutnant. Aber wenn es losginge, zöge ich natürlich sowieso mit, freiwillig!« Er sah kühl geradeaus.
    »Ich glaubte, Sie lieben den Krieg nicht sehr?« fragte Martin.
    »Lieben? Man tut einfach seine Pflicht!«
    Pflicht und wieder Pflicht! dachte Martin ärgerlich. Ihm schien, als liege in der Art, wie der Referendar vor ihm den Hut lüpfte, etwas Geringschätziges. Er bekam einen roten Kopf davon. –
    Bei Hummels schien große Geschäftigkeit. Festliche Blumenkörbe und blumengefüllte Schalen, bereits heute als Geburtstagsgeschenk gesendet, standen den Korridor entlang. Die Frau Hauptmann selber stand dort am Telephon und gab Anweisungen, wahrscheinlich das Diner betreffend, das manabgesagt hatte. Martin hörte, man solle die bestellten Braten und Gemüse für jeden Fall in Büchsen einmachen. »Man kann es dann im Kriegsfall an die Lazarette abgeben.«
    Ihn schauderte vor dieser Besonnenheit, die sich jetzt schon mit den Lazaretten befaßte.
    Im Eßzimmer, durch das er versehentlich hindurchging, traf er Dora. Das Mädchen sah sehr schön aus, wie knisternd vor Erregung. Das Haar röter als je. »Solche Zeit mitzuerleben,« sagte sie mit fliegendem Atem zu ihm. »Ist es nicht wundervoll?«
    Martin schwieg. Er fand es taktlos, daß sie von ihm, dem Elsässer, deutsch-patriotische Begeisterung verlangte. »Es ist noch nichts entschieden,« sagte er zurückhaltend.
    Sie merkte seine Verstimmung nicht. »Eben das! Man kann alles erwarten, das Ungeheuerlichste sich vorstellen. Die Männer

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