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Die Verborgene Schrift

Titel: Die Verborgene Schrift Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anselma Heine
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natürlich, die haben ja gleich an Positives zu denken, aber wir – – Man hat die ganze Zeit über in solchem Einerlei gelebt. Es ist herrlich, aus allem Gewohnten herausgeworfen zu werden, eine starke Faust über sich zu spüren, die einen wegreißt.«
    Eine fast verletzende Sinnlichkeit lag über ihrem flammenden Gesicht. »Hanna hält drinnen Probe,« fuhr sie fort. »Sie fühlt das alles gar nicht so wie ich. Sie ist eine Verstandesnatur. Ich aber – wissen Sie, woran ich immer denken muß? In meinem Zimmer habe ich eine Photographie von Böcklins drei Kriegsreitern Tod, Hunger, Pest. Grauenhaft schön ist das.«
    »Vielleicht weniger schön, wenn man es erlebt!« Nun war er es, der aus irgendeinem Mißfallen heraus sich nüchtern gebärdete.
    Sie sah ihn erstaunt an.
    »Was tun Sie denn da so fleißig?« sagte er, im Gefühl, etwas Teilnehmenderes äußern zu müssen.
    »O, ich leere die Silberkasten. Man muß die Wertsachen zur Bank bringen; für alle Fälle.«
    Jetzt rief Hanna nach Martin. Er ging in den Salon, wo ihn ein sonderbarer Anblick überraschte. Inmitten des von grünenJalousien verdunkelten Zimmers, mit seinen phantasielosen Nußbaummöbeln der siebziger Jahre, stand ein Negerpaar in grellbunten Kattunröckchen, pechschwarzen Locken und Flormasken, Hummels Erster Assistent mit seiner Braut. Die andern Beteiligten wurden noch erwartet oder hatten abgesagt, nur eine Elsässerin in großer Schlupfenhaube stand noch in der Fensternische. Martin kannte sie von der Hummelschen Sommergesellschaft her. Sie war die Tochter des Bürgermeisters von Thann, eine eifrige Zuhörerin und unbedingte Verehrerin des Geheimrats. Sonst immer strahlend von Jugend und Lebenslust, schien das bildhübsche Ding heute ganz verwandelt. Sie lerne ihre Rolle, gab sie Martin abwehrend zur Antwort, als er sie ansprach. Hanna dankte ihm für die Malerei, die sie hatte abholen und auf den Schirm spannen lassen. Sie sah angestrengt aus, und ihre Stimme war spröde. Sie klatschte in die Hände zum Zeichen, daß man anfangen müsse zu proben.
    »Aber – pardon, gnädiges Fräulein, ist es nicht eigentlich frivol, so ruhig weiterzuwurschteln?« fragte der Neger-Assistent und warf die Maske auf das Klavier, wobei sich plötzlich sein blasses Sorgengesicht zeigte. Seine Braut aber, eine lebenslustige Straßburgerin mit unruhigen Augen, meinte, man müsse noch rasch mitnehmen, was sich an Festlichkeiten biete. Man wisse nicht, ob es nicht bald für eine Weile mit Spiel und Tanz vorbei sei. Sie begann denn auch gleich, ihrer Rolle gemäß, einen burlesken Tanz, dem die andern ernsthaft zusahen. Als sie fertig war, noch außer Atem, fragte sie Hanna, ob sie sich auch mit Butter versehen hätten? Die Preise seien plötzlich enorm in die Höhe geschnellt. Worauf ihr Bräutigam erinnerte, man müsse sich Gold eintauschen auf der Bank, Münze gelte nicht mehr. Man sprach von einigen Personen, die ihre geplante Ferienreise bereits jetzt angetreten hätten, da man nicht wisse, wie lange die Bahnen noch Zivilpersonen beförderten.
    Das junge Mädchen aus Thann, als verlange es sie, diese Gespräche abzubrechen, trat mit einem sonderbar gespanntenAusdruck in ihrem jungen Gesichtchen in Deklamierstellung auf den Fensterteppich und begann unvermittelt ihre Rolle herzusagen. Sie, die Vertreterin der Studentinnen, sollte dabei eine silberne Schale überreichen, die bereits jetzt mit eigentümlich hellroten Rosen gefüllt war.
    Sie begann:
    »Das Elsaß, unser Ländle,
das isch meineidi scheen,
wir halten's fescht am Bändle
und lassen's nimmer gehn.«
    Plötzlich brach sie in Schluchzen aus und rannte zum Zimmer hinaus. Hanna folgte ihr besorgt. Ein landsmännisches Gefühl trieb auch Martin der Weinenden nach.
    Sie saß unter Hüten und Sonnenschirmen in der Garderobe, Hanna hielt ihre Hand. »Was wird aus unserm Ländle werden?« schluchzte die Verstörte. »Wir sind verloren, alle miteinander, so oder so. Der Vater sagt, die Deutschen trauen keinem geborenen Elsässer Gutes zu. Und wenn etwa die Franzosen nach Thann hineinkommen, schleppen sie ihn als Geisel fort, weil er bislang den Deutschen gut war.«
    »Die Franzosen nach dem Elsaß?« Hanna schrie beinahe. Sie hatte die Hand der Fremden losgelassen wie etwas Giftiges. Und da die Mutter jetzt nach ihr schickte, ihr bei irgendeiner häuslichen Anordnung zu helfen, ging sie eilig davon. »Wir geben nun doch die Aufführung auf,« sagte sie im Weggehen. »Alles Zusammennehmen nützt nichts.

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