Die verborgene Seite des Mondes
küsste Julia. Noch eine geschenkte Nacht, dachte er und wünschte, die Zeit wür de stehen bleiben.
Sie gingen zurück in den Garten, legten sich ins Gras und sahen hinauf in den von Sternen gesprenkelten Himmel. Zum ersten Mal waren sie allein, wirklich allein. Ein roter Stein ist die Liebe zwischen Mann und Frau, ist der Einklang ihrer Körper im Gras. Simon dachte, dass der rote Stein sein Versprechen eingelöst hatte. Das Geheim nis war, daran zu glauben und zu vertrauen.
Später, Julia stand gerade unter der Dusche, klingelte das Telefon. Simon hob ab, er dachte, Dominic hätte etwas Wichtiges vergessen. Doch es war Hanna. Sie klang ungehalten und wollte ihre Tochter sprechen.
»Hallo, Ma«, sagte Julia, ein Handtuch um den Körper geschlun gen. Sie hatte keine Lust, mit ihrer Mutter zu reden, aber es ließ sich nicht vermeiden.
Ein Schwall von Vorwürfen kam aus der Leitung. Hanna forderte Erklärungen, ihre Stimme überschlug sich vor Sorge. Julia ließ sich davon nicht beeindrucken.
»Hat das nicht bis morgen Zeit, Ma?«
»Wo bist du, Julia? Ich habe ein Hotelzimmer ganz in der Nähe des Krankenhauses. Ich komme dich holen.«
»Nein, Ma«, sagte Julia. »Ich bleibe hier, bei Simon.«
»Julia, du . . .«
»Bis morgen, Ma.« Sie legte auf.
Am nächsten Morgen flocht Simon zum letzten Mal Julias Zopf. Sie frühstückten in Dominics Garten, anschließend trugen sie Simons Sachen ins Haus und Julia schenkte ihm ihren MP3-Player.
»Da ist Musik drauf, die ich gerne höre«, sagte sie. »Aber du kannst alles löschen und das überspielen, was du magst. Dominic hat einen Computer.«
Simon bedankte sich mit einem Kuss. Er schloss das Haus ab und sie fuhren durch die Stadt zurück zum Krankenhaus.
Simon wusste, dass Julia und er sich auf einiges gefasst machen konnten. Und obwohl er es gewohnt war, der Sündenbock zu sein, versuchte er sich gegen Hannas Vorwürfe zu wappnen. Aber als Julia ihrer Mutter in Boyds Krankenzimmer gegenübertrat, war Hanna unerwartet still. Sie sah gut aus, braun gebrannt und erholt. Erleichtert nahm sie ihre Tochter in die Arme.
Es schien, als ob Hanna Julia plötzlich mit anderen Augen betrach ten würde.
Simon stand scheinbar unbeteiligt gegen den Türrahmen gelehnt, beobachtete und schwieg. Ab und zu spürte er, wie Hannas verstoh lener Blick auf ihm ruhte. Ob sie ihn hasste, weil er Julia liebte? Eine Menge Dinge waren schiefgelaufen. Simon nahm an, dass Hanna ih rer Tochter in Zukunft verbieten würde, zu einem jungen Mann zu reisen, der sie so in Gefahr gebracht hatte.
Im August wurde Simon achtzehn, Julia aber erst sechzehn. Es würde noch zwei Jahre dauern, bis sie volljährig war und selbst ent scheiden konnte. Aber wie Simon die Dinge auch drehte und wen dete, alles würde so kommen, wie es kommen musste.
In den vergangenen drei Wochen war er fast ständig mit Julia zu sammen gewesen. Wenn er daran dachte, wie allein er in wenigen Minuten sein würde, konnte er kaum noch schlucken.
Julia gab ihrem Großvater einen Kuss auf die Wange und umarmte ihn. »Ich liebe dich, Grandpa«, brüllte sie, was dem alten Mann die Tränen in die Augen trieb und Simon gleich mit.
Dann drückte sie Tommy an sich. »Mach’s gut, Schreihals«, sagte Julia mit belegter Stimme. »Wenn wir uns das nächste Mal sehen, hast du hoffentlich ein bisschen gutes Benehmen gelernt.«
Tommy suchte nach ihrer Hand und gab einen beinahe zärtlichen Aaah-Laut von sich.
Anschließend umarmte Julia ihre Großmutter. »Auf Wiedersehen, Granny.«
»Das will ich hoffen«, sagte Ada. »Du wirst uns fehlen.«
Julia löste sich aus den Armen ihrer Großmutter und sah Simon an.
Er schüttelte leicht den Kopf, was bedeuten sollte: nicht hier, vor al len anderen.
»Nun geht schon«, sagte Hanna. »Ich komme dann nach.«
Sie standen auf dem Parkplatz im Schatten eines Baumes und hiel ten einander an den Händen.
»Es ist nicht fair, dass sie dich einfach so gehen lassen«, sagte Julia. Das Atmen fiel ihr schwer und mit Sicherheit lag das nicht nur an der großen Hitze. Sie fühlte sich, als würde etwas ihr das Herz zu sammendrücken.
»Es ist schon in Ordnung.«
Sie hatte gewusst, dass Simon das erwidern würde.
»Deine Granny hat mal zu mir gesagt, wenn etwas endet, beginnt auch etwas.« Simons Stimme klang merkwürdig rau. »Das Problem ist nur: Ich weiß, was ich verliere, und habe keine Ahnung, was ich bekomme.«
Julia kämpfte gegen die Tränen. »Ich finde es blöd, dass ich erst fünfzehn
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