Die verborgene Stadt - Die Prophezeiung
irgendwann nur noch Pfusch abgeliefert wird. Komplizierte Technik braucht eben Zeit.«
»Jaja«, pflichtete Artjom bei und wies mit dem Daumen zum Aufzug, dessen Türen sich gerade öffneten. »Fahren Sie mit?«
»Nein, ich habe noch einen Auftrag im sechsten Stock.«
Der Dicke faltete den Zettel sorgfältig zusammen und legte ihn in seine Mappe. Am linken Ärmel seines Overalls befand sich ein Aufnäher mit der Beschriftung: »TKV – Technischer Service«.
Im Aufzug kontrollierte Artjom gewohnheitsmäßig das SMS-Postfach seines Handys und traute seinen Augen nicht: sechsundfünfzig neue Nachrichten in einer Nacht! So viele bekam er normalerweise im ganzen Jahr nicht! Er öffnete die Erstbeste:
»Seine Exzellenz, Antoine de Coulier, Magister der Drachenloge, hat offiziell verkündet, dass für die sechste Shambala-Expedition vorläufig keine Hilfskräfte mehr angeworben werden. Im Falle der Aufhebung des Anwerbungsstopps wird dies separat mitgeteilt. Abfindungen werden gegen Vorlage des Expeditionsausweises im Büro des Magisters ausbezahlt.«
Die Mitteilung erinnerte ihn an die befremdlichen Äußerungen seines gestrigen Beifahrers Cortes. Doch was sich dahinter verbergen mochte, war Artjom ein Rätsel. Kopfschüttelnd und sehr nachdenklich trat er auf die Straße hinaus. Das neue Fernsehprogramm und die seltsamen SMS-Nachrichten waren gleichermaßen absurd, als entsprängen sie einer gemeinsamen Quelle. Und Artjom wunderte sich schon nicht mehr, als er feststellte, dass das Autoradio seines Golfs auf einen neuen Sender eingestellt war.
»Was ist nun gestern am Wernadski-Prospekt eigentlich geschehen?«, fragte eine väterliche Moderatorenstimme,
nachdem Artjom losgefahren war. »Was hat der Überfall auf die Burg zu bedeuten? Wer hatte ein Interesse an dieser Konfrontation? Und was Sie, verehrte Hörer, wohl am meisten interessiert: Steht der Verborgenen Stadt ein neuer Krieg zwischen den Herrscherhäusern bevor?«
Der Verborgenen Stadt?!! Artjom verriss das Lenkrad, und sein Golf kam ins Schlingern. Während ihm von rechts wütendes Hupen entgegenschlug, hatte er plötzlich das Gesicht von Professor Serebrjanz vor Augen.
»Diese Fragen werde ich nun Kapitän de Geer stellen, der sich freundlicherweise bereiterklärt hat, uns ein Exklusiv-Interview zu geben«, setzte unterdessen der Moderator fort. »Kapitän, was sagen Sie zu den gestrigen Ereignissen?«
»Die Dreistigkeit und Dummheit der Rothauben ist ja schon sprichwörtlich«, tönte eine kalte Männerstimme aus dem Lautsprecher. »Die nächtlichen Ereignisse haben dies wieder einmal gezeigt. Die Verantwortlichen für den plumpen Überfall werden selbstverständlich zur Rechenschaft gezogen.«
»Wen meinen Sie damit?«
»In erster Linie die Rothauben selbst. Der Großmagister hat ihnen heute offiziell den Krieg erklärt.«
»Aber der Kodex der Verborgenen Stadt verbietet doch Vernichtungskriege.«
»Wir wollen die Rothauben auch nicht ausrotten, sondern nur ihre Population auf ein sicherheitsverträgliches Maß reduzieren.«
»Sie sind also nicht der Ansicht, dass eines der Herrscherhäuser hinter dem Angriff steckt?«
»Nein, wir sind sicher, dass dies nicht der Fall ist.«
»Können Sie bestätigen, dass es den Rothauben gelungen ist, das Karthagische Amulett in ihre Gewalt zu bringen? «
»Nein, das ist ein Gerücht«, erwiderte de Geer nach kurzem Zögern. »Sollte dies ihr Ziel gewesen sein, so haben sie es verfehlt.«
Artjom blickte sich kurz nach dem kleinen, schwarzen Rucksack um, der auf der Rückbank lag.
»Wir bedanken uns bei Kapitän de Geer für das Interview. Leider waren Vertreter der Herrscherhäuser Naw und Lud zu keiner Stellungnahme bereit. Wir hoffen, dass sie diese Haltung im Laufe der Zeit überdenken und der Verborgenen Stadt ihre Sicht der Dinge darlegen werden. Sie hörten eine Sonderausgabe des Magazins Hintergründe , durch die Sendung führte sie Karim Tomba. Nach einer kurzen Werbepause übernehmen die Kollegen von Blickpunkt Magie , bleiben sie dran.«
Karim Tomba! Dieser Name war Artjom ein Begriff. Tomba moderierte ein wöchentliches Politmagazin beim Fernsehsender TVZ und schrieb eine Kolumne in der Iswestija . Er hatte einen guten Ruf als kluger und unabhängiger Journalist, der sich von niemandem den Mund verbieten ließ. Seine Mitwirkung bei diesem rätselhaften Sender fand Artjom äußerst erstaunlich.
»Sensationelle Angebote bei der Handelsgilde!«, frohlockte eine angenehme Frauenstimme aus dem
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