Die verborgene Stadt - Die Prophezeiung
umschrieben. Einerseits standen ihm zweifelhafte Vergnügungen bevor wie die Rasur seines unausgeschlafenen Gesichts und der nervtötende Aufenthalt in den berüchtigten Moskauer Staus. Andererseits lasteten auch die aberwitzigen Erlebnisse der vergangenen Nacht auf seinem Gemüt.
Unter dem erfrischenden Wasserstrahl der Dusche kam Artjom ein wenig zu sich und dachte darüber nach, was weiter passieren würde.
Trotz der eindeutigen Anweisungen von Cortes hatte er in der Nacht niemanden mehr angerufen, da er keinerlei Lust verspürte, noch irgendwo hinzufahren, geschweige denn, wildfremde Leute bei sich zu Hause zu empfangen. Artjom bereute es, dass er sich von Cortes überhaupt hatte breitschlagen lassen, doch nun war es schon zu spät zum Zurückrudern. Nach reiflicher Überlegung beschloss er, den Anruf von seinem Büro aus zu tätigen. Die Firma, bei der er arbeitete, residierte in einem Bürogebäude in der belebten Pokrowka-Straße und verfügte über einen zuverlässigen Security-Dienst. Dort konnte er sich einigermaßen sicher fühlen.
Artjom kehrte in sein einziges Zimmer zurück, wo der Fernseher inzwischen mit voller Lautstärke lief. Er zog ein frisches weißes Hemd an und ließ den Blick durch den Raum schweifen: was für ein Chaos! Seine hilflosen Versuche, Ordnung zu schaffen, unternahm Artjom gewöhnlich samstags, doch die letzten beiden Wochenenden hatte er mit Lusja auf der Datsche verbracht und dementsprechend sah es in seiner Wohnung aus. Die Jeans, die er am Sonntag ausgezogen hatte, lag über dem Stuhl und die Reisetasche mit den Klamotten vom vergangenen Wochenende stand ungeöffnet unter dem Tisch. Darauf lag ein schmutziges Hemd. Am Freitag hatte er es eilig gehabt und war nicht mehr dazugekommen, es in die Waschmaschine zu stecken. Neben dem Sofa stand eine leere Flasche Bier (eine Erinnerung an
die Fußballübertragung am Mittwoch) und ein Teller mit einem halbaufgegessenen Wurstbrot (eine Erinnerung an den eiligen Aufbruch am Freitag). Wenigstens war die Wohnung nicht verstaubt – den Kunststofffenstern sei Dank.
Während Artjom seine Krawatte band, fiel sein Blick auf den kleinen schwarzen Rucksack, der unschuldig an der Wand lehnte. Meinetwegen, mein Versprechen halte ich, sagte er sich, aber dann ist Schluss mit solchen Spielchen.
»Eine grandiose Show ist demnächst im Club Eidechse zu sehen«, plärrte eine Werbestimme aus dem Fernseher.
Artjom wurde hellhörig und starrte argwöhnisch auf den Bildschirm. Von diesem Club hatte er gestern zum ersten Mal gehört, und zwar von Cortes!
»Der umtriebige Wambo, Liebling der Moskauer Partygemeinde, hat sich einen neuen Event ausgedacht: den Tanz des Phönix!«, sprudelte es weiter aus der Flimmerkiste. »Ein im Bezirk Marina Roschtscha eingefangener Phönix wird eine effektvolle Selbstverbrennung inszenieren, um hinterher aus seiner Asche neu zu erstehen. Das dürfen Sie nicht versäumen! Dieses Spektakel hat es seit tausend Jahren nicht mehr gegeben.«
Um einen schmutzig-roten Pterodaktylus herum, der seiner Einäscherung ausgesprochen grimmig entgegensah, rekelten sich halbnackte Schönheiten.
»Was für ein Vieh«, wunderte sich Artjom und schaute auf die Adresse des Clubs: irgendwo im Ismailow-Park.
Der Fernseher war eigentlich auf MTV eingestellt, doch nun leuchtete rechts oben im Bildschirm die Abkürzung TGC, mit der Artjom nichts anfangen konnte.
»Um einen Tisch zu reservieren, geben Sie bitte auf Ihrer Fernbedienung die 777-311 ein. Und denken Sie daran: Wambos Events sind in der Regel rasch ausverkauft.«
Auf dem Bildschirm erschien die Ziffernfolge 777-311 mit dem Zusatz »Kostenpflichtiger Service«.
Artjom amüsierte sich über die blühende Fantasie der Showveranstalter, doch dann schaltete sich der Fernseher ab, was bedeutete, dass es höchste Zeit zum Aufbruch war. Er schlüpfte in sein Sakko, schwang sich den Rucksack auf die Schulter und verließ die Wohnung.
Am Verteilerkasten im Treppenhaus machte sich ein bemerkenswert fetter Mann in einem Arbeitsoverall zu schaffen.
»Funktioniert’s?«, keuchte er, ohne von seiner Arbeit aufzusehen.
»Soweit funktioniert alles, ja«, erwiderte Artjom zerstreut.
»Dann unterschreiben Sie hier.«
Er streckte Artjom einen Auftragszettel hin.
»Kostet das nichts?«
»Nein«, versicherte der Fettwanst.
Artjom unterschrieb.
»In aller Herrgottsfrühe lassen sie einen kommen«, beschwerte sich der Mann. »Immer schnell schnell … Und dann wundern sie sich, wenn
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