Die verborgene Wirklichkeit
zu analysieren ist. In einem genau definierten mathematischen Sinn hat dieses Universum einen Rand, eine undurchdringliche Oberfläche, die das Innere des Universums vollständig einschließt. Maldacena untersuchte diese Oberfläche und fand überzeugende Argumente dafür, dass alles, was in dem von ihm beschriebenen Universum abläuft, eine Spiegelung von Gesetzen und Prozessen ist, die sich außen auf der Oberfläche entfalten.
Allem Anschein nach dürfte Maldacenas Methode sich zwar auf ein Universum mit der Form des unseren nicht unmittelbar anwenden lassen, dennoch sind seine Befunde von entscheidender Bedeutung, weil sie eine mathematische Arena bereiteten, in der Ideen über holographische Universen konkret formuliert und quantitativ untersucht werden können. Die Ergebnisse solcher Untersuchungen überzeugten auch viele Physiker, die das holographische Prinzip zuvor mit großen Zweifeln beäugt hatten, und damit setzten sie eine Lawine von Forschungsarbeiten in Gang, die zu Tausenden Fachartikeln und damit einem deutlich fundierteren Wissensstand geführt hat. Was dabei am spannendsten ist: Heute deutet vieles darauf hin, dass man tatsächlich eine Verbindung zwischen diesen theoretischen Erkenntnissen und der Physik in unserem Universum herstellen kann. In den nächsten Jahren könnte diese Verbindung durchaus die Möglichkeit eröffnen, physikalische Ideen zum holographischen Prinzip experimentell zu überprüfen.
Der Rest dieses Abschnitts und auch der nächste werden der Frage gewidmet sein, wie Maldacena sein Durchbruch gelang; der Inhalt gehört zum Schwierigsten, das hier geschildert wird. Zunächst möchte ich eine kurze Zusammenfassung geben, eine abgespeckte Version, so dass man ohne Schuldgefühle zum letzten Abschnitt dieses Kapitels springen kann, falls das Bedürfnis nach Einzelheiten irgendwann durch das Material übersättigt wird.
Maldacenas fantasievoller Schachzug bestand darin, eine neue Version der in Kapitel 5 erörterten Dualitätsargumente hinzuzuziehen. Erinnern wir uns noch einmal an die dort vorgestellten Branen und die »Brotscheibenuniversen«. Maldacena betrachtete aus zwei einander ergänzenden Blickwinkeln die Eigenschaften einer eng aufeinandergestapelten Ansammlung dreidimensionaler Branen wie in Abbildung 9.4 . Der eine Blickwinkel war eine »Innenansicht« und konzentrierte sich auf Strings, die sich auf diesen Branen bewegen und dort schwingen. Dagegen konzentrierte sich die zweite, die »Außenansicht«, auf die Frage, wie die Branen ihre unmittelbare Umwelt über ihre Gravitationswirkung beeinflussen, ganz ähnlich wie Sonne und Erde es mit ihrer Umgebung tun. Beide Sichtweisen, so Maldacenas Argumentation, beschreiben ein und dieselbe physikalische Situation: Bei der Innenansicht geht es um Strings, die sich auf einem Branenstapel bewegen, bei der Außenansicht um Strings, die sich durch eine Region der gekrümmten Raumzeit bewegen, die von eben diesem Branenstapel begrenzt wird. Indem er diese beiden Situationen gleichsetzte, fand Maldacena eine ausdrückliche Verbindung zwischen physikalischen Vorgängen, die in einer Region und auf dem Rand dieser Region stattfinden, und damit eine ausdrückliche Verwirklichung der Holographie. So weit die Grundidee.
Wenn ich ein wenig weiter aushole, lautet die Geschichte folgendermaßen:
Angenommen, so Maldacena, Drei-Branen liegen in einem Stapel so eng nebeneinander, dass sie wie eine einzige, fest gefügte Branen-Brotscheibe erscheinen ( Abbildung 9.4 ). Nun untersucht man das Verhalten der Strings, die sich in diesem Umfeld bewegen. Wie bereits erwähnt wurde, gibt es zweierlei Strings – offene Schnipsel und geschlossene Schleifen –, und die Endpunkte der offenen Strings können sich innerhalb der Branen bewegen, sich aber nicht von ihnen lösen; geschlossene Strings dagegen haben keine offenen Enden und können sich deshalb ungehindert durch die gesamte räumliche Weite bewegen. Im Jargon des Fachgebietes sagen wir: Während offene Strings auf die Branen und damit auf den Raumrand beschränkt sind, können geschlossene Strings sich durch den von den Branen umschlossenen Innenraum bewegen.
In einem ersten Schritt beschränkte Maldacena seine Aufmerksamkeit mathematisch auf Strings, die eine niedrige Energie haben – also auf solche, die
relativ langsam vibrieren. Der Grund: Die Gravitationskraft zwischen zwei Objekten ist proportional zu ihrer Masse; das Gleiche gilt für die Gravitationskraft zwischen zwei
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