Die verborgene Wirklichkeit
der Quantenfeldtheorie, die hier ins Spiel kommt, enthält eine Reihe hoch entwickelter mathematischer Zutaten (und sie hat einen dementsprechend unhandlichen Namen: es handelt sich um eine konforme supersymmetrische Quantenfeldtheorie, und zwar um eine, die sogenannte Eichfelder beschreibt), zwei entscheidende Eigenschaften sind aber leicht zu verstehen: Da es keine geschlossenen Strings gibt, ist auch kein Gravitationsfeld vorhanden. Und da die Strings sich nur auf den dicht an dicht liegenden dreidimensionalen Branen bewegen können, »lebt« diese Quantenfeldtheorie in drei Raumdimensionen (und zusätzlich in der einen Zeitdimension, so dass sich insgesamt vier Raumzeitdimensionen ergeben).
Bei der zweiten Beschreibung sind die geschlossenen Strings übrig geblieben, die beliebige Schwingungsmuster ausführen können, vorausgesetzt, sie befinden sich so nahe am Ereignishorizont der Schwarzen Branen, dass sie aus Sicht eines äußeren Beobachters eine sehr geringe Energie besitzen. Solche Strings können sich zwar nur in einer begrenzten Entfernung vom Schwarzen Branenstapel aufhalten, sie vibrieren aber und bewegen sich in neun Raumdimensionen (und zusätzlich in der einen Zeitdimension, also in insgesamt zehn Raumzeitdimensionen). Und da dieser Sektor aus geschlossenen Strings aufgebaut ist, enthält er auch die Gravitationskraft.
So unterschiedlich die beiden Sichtweisen auch zu sein scheinen, sie beschreiben ein und dieselbe physikalische Situation, und deshalb müssen sie übereinstimmen. Das führt zu einer durch und durch bizarren Schlussfolgerung. Eine Quantenfeldtheorie für punktförmige Teilchen in vier Raumzeitdimensionen, die keinerlei Gravitation enthält (die erste Sichtweise), beschreibt die gleichen physikalischen Verhältnisse wie Strings, einschließlich der Gravitation , die sich durch eine bestimmte zehndimensionale Raumzeit bewegen (die zweite Perspektive). Das hört sich so weit hergeholt an, als würde man behaupten … Nun, ich habe mich ehrlich bemüht, aber mir fallen keine zwei Dinge aus der wirklichen Welt ein, die sich unähnlicher wären als diese beiden Theorien. Dennoch beschritt Maldacena den skizzierten mathematischen Weg und stieß direkt auf diese Schlussfolgerung.
Abbildung 9.5 Schematische Darstellung der Dualität zwischen der Stringtheorie, die im Innenraum einer bestimmten Raumzeit wirksam ist, und der Quantenfeldtheorie auf dem Rand dieser Raumzeit.
Das enorm Befremdliche an seinem Befund wird – ebenso wenig wie die Kühnheit der Behauptung – auch nicht dadurch gemindert, dass es nur einen Moment dauert, ihn in dem Gedankengang, der zuvor in diesem Kapitel entwickelt wurde, unterzubringen. Wie in Abbildung 9.5 schematisch dargestellt ist, verleiht die Gravitation des Stapels aus Schwarzen Branen der zehndimensionalen Raumzeit in ihrer Nachbarschaft eine Krümmung (die Details sind zweitrangig, aber die gekrümmte Raumzeit wird als Produkt aus fünfdimensionalem Anti-de-Sitter-Raum und 5-Sphäre bezeichnet); der Rand dieses Raumes ist gerade der Stapel aus Schwarzen Branen. Maldacenas Erkenntnis lautet also: Die Stringtheorie im Innenraum dieser Raumzeit ist identisch mit einer Quantenfeldtheorie auf ihrem Rand . 15
Das ist Holographie, wie sie leibt und lebt.
Maldacena hatte ein in sich schlüssiges mathematisches Labor errichtet, in dem Physiker unter anderem eine ganz konkrete holographische Verwirklichung physikalischer Gesetze detailliert untersuchen können. Die nächste Erkenntnisebene war wenige Monate später mit zwei Fachartikeln erreicht; der eine stammte von Edward Witten, der andere von Steven Gubser, Igor Klebanov und Alexander Polyakov. Sie entwickelten ein genaues mathematisches Wörterbuch für die
Übersetzung zwischen den beiden Sichtweisen: Wenn man einen physikalischen Prozess auf der Grenzfläche der Bran betrachtet, sagt einem das Wörterbuch, wie der entsprechende Prozess im Innenraum aussieht, und umgekehrt. In einem hypothetischen Universum wird das holographische Prinzip also durch das Wörterbuch ausdrücklich formuliert. Am Rand dieses Universums ist die Information in Quantenfeldern verkörpert. Wird die Information mithilfe des mathematischen Wörterbuchs übersetzt, liest sie sich dagegen wie eine Geschichte von Stringphänomenen, die sich im Innenraum des Universums abspielen.
Allein die Tatsache des Wörterbuchs zeigt, wie angemessen die Holographie-Metapher ist. Ein Hologramm, wie wir es aus unserem Alltag kennen, hat keine
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