Die verborgene Wirklichkeit
Augen allerdings höchst unwahrscheinlich), dass wir eines Tages aufgrund weiterer Fortschritte einen oder mehrere wesentliche Zwischenschritte als falsch erkennen. Damit würde die holographische Idee im Papierkorb landen.
Noch etwas anderes ist wichtig: In den vorangegangenen Ausführungen war stets von einer Raumregion, einer sie umgebenden Oberfläche und dem Informationsgehalt von beidem die Rede. Da wir uns aber auf die Entropie und den Zweiten Hauptsatz konzentriert haben – die sich beide hauptsächlich mit der
Informations menge in einem bestimmten Zusammenhang befassen –, haben wir nicht im Einzelnen untersucht, wie diese Information physikalisch verwirklicht oder gespeichert wird. Was meinen wir eigentlich damit, wenn wir von Information sprechen, die auf einer Kugelfläche rund um eine Raumregion herum codiert ist? Wie macht sich diese Information bemerkbar? Welche Form nimmt sie an? Inwieweit können wir ein konkretes Wörterbuch entwickeln, das die auf der Begrenzungsfläche ablaufenden Phänomene in die im Innern übersetzt?
Einen allgemeinen theoretischen Rahmen zur Beantwortung solcher Fragen haben die Physiker bisher noch nicht formuliert. Da sowohl Gravitation als auch Quantenmechanik für die Überlegungen von entscheidender Bedeutung sind, könnte man damit rechnen, dass die Stringtheorie einen leistungsfähigen Hintergrund für theoretische Untersuchungen bildet. Als aber ’t Hooft das holographische Konzept zum ersten Mal formulierte, äußerte er Zweifel daran, dass die Stringtheorie das Thema würde voranbringen können. »Auf der Größenskala der Planck-Einheiten«, meinte er, »ist die Natur noch viel verrückter, als selbst die Stringtheoretiker sich vorstellen können.« 13 Ein knappes Jahrzehnt später wurde ’t Hooft von der Stringtheorie widerlegt, indem sie ihn bestätigte. In einem bahnbrechenden Fachartikel wies ein junger Theoretiker nach, dass die Stringtheorie ausdrücklich eine Verwirklichung des holographischen Prinzips ermöglicht.
Stringtheorie und Holographie
Als man mir 1998 bei der internationalen Jahrestagung für Stringtheorie an der University of California in Berkeley das Wort für meinen Vortrag erteilte, tat ich etwas, das ich nie zuvor getan habe und vermutlich auch nie wieder tun werde. Ich blickte ins Publikum, legte meine rechte Hand auf meine linke Schulter und die linke Hand auf die rechte, griff dann mit beiden Händen nacheinander an meinen Hosenboden, hüpfte wie ein Hase herum und beschrieb eine Vierteldrehung. Glücklicherweise reagierte das Publikum mit Gelächter, das so lange anhielt, bis ich mit drei weiteren Schritten das Podium erreicht hatte, wo ich mit meinem Vortrag begann. Die Zuhörer hatten den Witz begriffen. Bei dem Bankett am Vorabend hatten die Teilnehmer mit Gesang und Tanz, wie es nur Physiker können, eine spektakuläre Leistung des argentinischen Stringtheoretikers Juan Maldacena gefeiert. Zu Texten wie »Black Holes used to be a great mystery /Now we use D-Branes to compute D-entropy« (»Schwarze Löcher waren früher ein großes Rätsel/Doch jetzt haben wir D-Branen und berechnen damit
D-Entropie«) hatten sich die Anwesenden bei der stringtheoretischen Version des damaligen Modetanzes Macarena amüsiert. Das Ganze war einen Hauch lebhafter als Al Gores Version auf dem Parteitag der Demokraten und nicht ganz so wohlklingend wie Los del Rios ursprünglicher, einzigartiger Hit, aber was die Leidenschaft anging, stand es beiden nicht nach. Ich gehörte auf der Tagung zu den wenigen, deren Vortrag nicht von Maldacenas Durchbruch handelte, und als ich am nächsten Morgen ans Podium trat, hielt ich es nur für angemessen, meinen Ausführungen eine persönliche Geste der Anerkennung voranzustellen.
Heute, mehr als ein Jahrzehnt später, würden viele Fachleute mit mir übereinstimmen, dass seither keine Arbeit aus der Stringtheorie so bedeutsam und einflussreich war wie die Maldacenas. Unter den vielen Weiterentwicklungen von Maldacenas Befunden ist eine von unmittelbarer Bedeutung für unseren Gedankengang. In einem bestimmten hypothetischen Umfeld wurde durch Maldacenas Ergebnisse ausdrücklich das holographische Prinzip verwirklicht, und damit lieferte er das erste mathematische Beispiel für holographische Paralleluniversen . Um zu diesem Ergebnis zu gelangen, betrachtete Maldacena die Stringtheorie in einem Universum, das sich in seiner Form von dem unseren unterscheidet, für den hier beabsichtigten Zweck aber einfacher
Weitere Kostenlose Bücher