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Die verborgene Wirklichkeit

Die verborgene Wirklichkeit

Titel: Die verborgene Wirklichkeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: B Greene
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beschreibt. Im Multiversum hat jegliche Mathematik ihren Zweck. Ein Universum, in dem Newtons Gleichungen gelten und das ausschließlich von soliden Billardkugeln bevölkert ist (die keinerlei innere Struktur aufweisen), ist ein reales Universum; ein leeres Universum mit 666 Raumdimensionen, in dem eine höherdimensionale Version von Einsteins Gleichungen gilt, ist ebenfalls ein Universum. Wenn die Außerirdischen Recht haben, gäbe es auch Universen, deren Beschreibung sich außerhalb der Mathematik vollzieht. Aber lassen wir diese Möglichkeit einmal beiseite. Schon ein Multiversum, in dem alle mathematischen Gleichungen verwirklicht sind, bietet uns ausreichend Beschäftigung; dies ist das Geschenk des letztmöglichen Multiversums an uns.
    Multiversum rational
    Von den Vorstellungen über Paralleluniversen, die wir bisher kennengelernt haben, unterscheidet sich das letztmögliche Multiversum in einem Punkt: in den Überlegungen, die zu seiner Formulierung führen. Die in den vorangegangenen Kapiteln vorgestellten Multiversums-Theorien wurden nicht erdacht, weil man ein Problem lösen oder eine Frage beantworten wollte. Manche von ihnen tun das zwar oder führen zumindest zu der Behauptung, aber sie wurden nicht zu diesem Zweck entwickelt. Wie wir erfahren haben, löst das Quanten-Multiversum nach Ansicht mancher Theoretiker das Maßproblem der Quantentheorie; andere glauben, das zyklische Multiversum sei eine Antwort auf die Frage nach dem Anbeginn der Zeit; wieder andere sind der Ansicht, das Branen-Multiversum kläre die Frage, warum die Gravitation so viel schwächer ist als die anderen Kräfte; manche sehen im Landschafts-Multiversum ein Hilfsmittel, mit dem man den beobachteten Wert für die Dunkle Energie erläutern kann; manche glauben, das holographische Multiversum erkläre Befunde, die man durch die Kollision schwerer Atomkerne gewonnen hat. Doch solche Anwendungen sind lediglich zweitrangig. Die Quantenmechanik wurde entwickelt, um den Bereich des Allerkleinsten zu beschreiben; die kosmische Inflation wurde eingeführt, weil man die beobachteten Eigenschaften des Kosmos erklären wollte; die
Stringtheorie wurde entwickelt, um zwischen Quantenmechanik und Allgemeiner Relativitätstheorie zu vermitteln. Dass alle diese Theorien verschiedene Multiversen ermöglichen, ist ein Nebeneffekt.
    Das letztmögliche Universum dagegen hat über seine Annahme eines Multiversums hinaus keinen Erklärungswert. Es erreicht genau ein Ziel: durch die Einführung eben dieses Multiversums das Vorhaben, eine Erklärung dafür zu finden, warum unser Universum gerade diesem System mathematischer Gesetze und keinem anderen unterliegt, von unserer To-do-Liste zu streichen. Da das letztmögliche Universum bewusst zur Beantwortung dieser einen Frage erdacht wurde, fehlt ihm die unabhängige Begründung, die für die in vorangegangenen Kapiteln erörterten Multiversen charakteristisch ist.
    Das ist meine Sicht der Dinge. Sie wird nicht von allen geteilt. Es gibt eine philosophische Sichtweise (die aus der Denkschule des strukturellen Realismus erwächst), wonach Physiker einer falschen Trennung zwischen Mathematik und Physik zum Opfer gefallen sind. Theoretische Physiker sprechen häufig – wie ich auch auf fast jeder Seite dieses Buches – davon, die Mathematik liefere ihnen eine quantitative Sprache, um die physikalische Wirklichkeit zu beschreiben. Vielleicht aber, so diese andere Sichtweise, ist Mathematik mehr als nur eine Beschreibung der Wirklichkeit. Vielleicht ist Mathematik die Wirklichkeit.
    Eine seltsame Idee. Wir sind es nicht gewohnt, uns die handfeste Wirklichkeit als Konstrukt aus nicht greifbaren mathematischen Formulierungen vorzustellen. Einen konkreten, aufschlussreichen Weg, darüber nachzudenken, bieten die simulierten Universen aus dem vorangegangenen Abschnitt. Denken wir nur an die berühmte, spontane Reaktion von Samuel Johnson auf die Behauptung des Bischofs Berkeley, Materie sei nur eine Illusion des Geistes: Er trat nach einem großen Stein. Stellen wir uns dennoch vor, dass der Tritt, ohne dass Dr. Johnson es wusste, innerhalb einer hypothetischen, höchst realistischen Computersimulation stattfand. In dieser simulierten Welt wäre Dr. Johnsons Erlebnis, wie sein Fuß den Stein berührt, ebenso überzeugend wie in der historischen Version. Dennoch ist die Computersimulation nichts anderes als eine Kette mathematischer Manipulationen, die vom Zustand des Computers in einem Augenblick – von einer

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