Die verborgene Wirklichkeit
Temperatur der Strahlung liegt immer bei 2,275 Grad über dem absoluten Nullpunkt. Die rätselhafte Frage lautet: Wie kam es zu einer solchen unglaublichen Einheitlichkeit?
Vor dem Hintergrund der in Kapitel 2 dargelegten Gedanken (und meiner Anmerkungen vier Absätze zuvor) kann ich schon hören, wie manch einer sagt: »Nun, da wirkt eben das kosmologische Prinzip. Kein Ort im Universum ist im Vergleich zu irgendeinem anderen etwas Besonderes, deshalb sollte auch die Temperatur überall gleich sein.« Stimmt schon. Aber erinnern wir uns: Das kosmologische Prinzip war eine vereinfachende Annahme , auf die Einstein und andere Physiker zurückgriffen, um die mathematische Analyse der Evolution des Universums besser handhaben zu können. Die Beobachtung, dass die kosmische Hintergrundstrahlung tatsächlich im gesamten Weltraum einheitlich ist, ist ein überzeugendes Indiz für die Richtigkeit des kosmologischen Prinzips, und sie stärkt unser Vertrauen in die Schlussfolgerungen, die mithilfe des Prinzips gezogen wurden. Die erstaunliche Einheitlichkeit der Strahlung rückt jedoch auch das kosmologische Prinzip selber ins Rampenlicht. Das kosmologische Prinzip mag sich vernünftig anhören, aber welcher Mechanismus hat im gesamten Kosmos für jene Einheitlichkeit gesorgt, die unsere Beobachtungen uns zeigen?
Schneller als die Lichtgeschwindigkeit
Schon jeder hatte einmal das leicht beunruhigende Erlebnis: Wir schütteln einem anderen die Hand und stellen fest, dass sie sehr warm (nicht so schlecht) oder eiskalt (eindeutig schlechter) ist. Würden wir aber die Hand festhalten, so
könnten wir feststellen, dass der geringfügige Temperaturunterschied sehr schnell verschwindet. Wenn Gegenstände einander berühren, wandert Wärme von der wärmeren zur kälteren Seite, bis beide die gleiche Temperatur haben. Das erleben wir ständig. Aus diesem Grund kühlt sich der Kaffee, den wir auf dem Schreibtisch stehen lassen, irgendwann auf Raumtemperatur ab.
Mit ähnlichen Überlegungen, so scheint es, kann man auch die Einheitlichkeit der kosmischen Hintergrundstrahlung erklären. Wie bei festgehaltenen Händen und stehen gelassenem Kaffee dürfte sich in der Einheitlichkeit die altvertraute Rückkehr der Umgebung zu einer gemeinsamen Gesamttemperatur widerspiegeln. Das einzig Neue daran ist, dass diese Rückkehr über kosmische Entfernungen hinweg stattgefunden haben muss.
Aber in den Urknallmodellen versagt diese Erklärung.
Damit Orte oder Gegenstände eine gemeinsame Temperatur annehmen können, ist gegenseitiger Kontakt eine unabdingbare Voraussetzung. Dabei kann es sich wie beim Händeschütteln um einen direkten Kontakt handeln, zumindest müssen aber Informationen ausgetauscht werden, damit sich die Verhältnisse an verschiedenen Orten einander angleichen können. Nur durch gegenseitige Beeinflussung können sich gemeinsame Umgebungsbedingungen einstellen. Eine Thermosflasche ist dazu konstruiert, die für den Temperaturausgleich nötigen Wechselwirkungen zu verhindern: So behindert sie das Bestreben nach Einheitlichkeit und erhält den Temperaturunterschied aufrecht.
Diese einfache Beobachtung macht deutlich, welches Problem die naive Erklärung für die einheitliche Temperatur des Kosmos aufwirft. Orte im Weltraum, die sehr weit voneinander entfernt sind – beispielsweise ein Punkt sehr weit zu unserer Rechten und so weit von uns entfernt, dass das erste Licht, das er ausgesandt hat, uns gerade eben erreicht, und ein zweiter, ähnlich weit entfernter Punkt zu unserer Linken –, sind nie miteinander in Wechselwirkung getreten. Wir können zwar beide sehen, aber das Licht von jedem der beiden muss noch eine gewaltige Entfernung überbrücken, bevor es den jeweils anderen erreicht. Hypothetische Beobachter an diesen weit entfernten Punkten rechts und links von uns haben einander also noch nicht gesehen, und da die Lichtgeschwindigkeit für jede Bewegung das absolute Tempolimit darstellt, können sie noch nicht in Wechselwirkung getreten sein. Oder, um die Formulierung aus dem vorherigen Kapitel zu verwenden: Sie befinden sich jeweils hinter dem kosmischen Horizont des anderen.
Diese Beschreibung macht deutlich, worin das Rätsel besteht. Wenn Bewohner dieser weit entfernten Orte die gleiche Sprache sprechen würden und Bibliotheken mit den gleichen Büchern besäßen, wären wir sprachlos. Wie kann
ohne Kontakt ein gemeinsames Erbe entstehen? Ebenso sprachlos wären wir, wenn wir erführen, dass solche weit
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