Die verborgene Wirklichkeit
Forschungsarbeiten zu einem weitaus detaillierteren und realistischeren Bild von den ersten Augenblicken des Universums, als es Friedmann (der in Leningrad Gamows Lehrer gewesen war) und Lemaître mit ihren früheren Arbeiten geliefert hatten. Mit einigen modernen Ergänzungen sieht das Bild von Gamow und Alpher ungefähr folgendermaßen aus:
Kurz nach seiner Geburt war das ungeheuer heiße und dichte Universum ein Ort hektischer Aktivität. Der Raum dehnte sich rapide aus und kühlte sich dabei ab, so dass sich aus dem Urplasma ein Gemisch von Teilchen zusammenballen konnte. Während der ersten drei Minuten war die rasch sinkende Temperatur immer noch so hoch, dass das Universum wie ein kosmischer nuklearer Ofen wirkte, in dem die einfachsten Atomkerne entstanden – außer Wasserstoff noch Helium und Spuren von Lithium. Aber schon nach wenigen weiteren Minuten fiel die Temperatur auf etwa 10 8 Kelvin (K), knapp das 10 000-Fache der Oberflächentemperatur unserer Sonne. Damit war das Universum nach heutigen Maßstäben immer noch sehr heiß, die Temperatur war aber zu niedrig, als dass pausenlos Kernreaktionen hätten ablaufen können; von diesem Zeitpunkt an klang der Tumult unter den Beteiligten also im Wesentlichen ab. Anschließend geschah erst einmal nicht viel, außer dass der Raum sich immer weiter ausdehnte und das Teilchengemisch sich weiter abkühlte.
Rund 380 000 Jahre später hatte das Universum sich auf rund 3000 K abgekühlt, etwas mehr als die Hälfte der Sonnen-Oberflächentemperatur. Nun
wurde das kosmische Einerlei durch eine entscheidende Wendung der Ereignisse unterbrochen. Bis zu diesem Zeitpunkt war der Raum von einem Plasma aus Teilchen angefüllt gewesen, die elektrische Ladungen trugen, vor allem Protonen und Elektronen. Da elektrisch geladene Teilchen die einzigartige Fähigkeit haben, Photonen – Lichtteilchen – zu absorbieren und wieder auszusenden, sah das Plasma in der Frühzeit undurchsichtig aus; die Fortbewegung der Photonen wurde unablässig von Elektronen und Protonen gestört, und so entstand ein diffuses Glimmen, das aufgeblendeten Scheinwerfern eines Autos bei dichtem Nebel ähnelt. Als die Temperatur aber unter 3000 K sank, verlangsamte sich auch die Bewegung der Elektronen und Atomkerne so weit, dass sie sich zu Atomen zusammenfinden konnten; Elektronen wurden von den Atomkernen eingefangen und in Umlaufbahnen gezogen. Das war ein entscheidender Wandel. Da Protonen und Elektronen gleich große, aber entgegengesetzte Ladungen tragen, sind die durch ihre Vereinigung entstehenden Atome elektrisch neutral. Und da Photonen durch ein Gas aus elektrisch neutralen, zusammengesetzten Gebilden hindurchgehen wie ein heißes Messer durch Butter, konnte der kosmische Nebel durch die Bildung der Atome aufklaren, und das leuchtende Echo des Urknalls wurde freigesetzt. Seither strömen die Photonen aus dieser Frühphase weitgehend ungehindert durch das All.
Allerdings mit einer wichtigen Einschränkung. Die Photonen werden zwar nicht mehr durch elektrisch geladene Teilchen beeinflusst, sie unterliegen jetzt aber einer anderen wichtigen Einwirkung: Mit der Expansion des Raumes werden alle Dinge, die darin sind, verdünnt und abgekühlt, auch die Photonen. Aber im Gegensatz zu Materieteilchen werden Photonen beim Abkühlen nicht langsamer; als Lichtteilchen bewegen sie sich immer mit Lichtgeschwindigkeit fort. Stattdessen nimmt mit der Abkühlung der Photonen ihre Schwingungsfrequenz ab, das heißt, sie verändern ihre Farbe. Violette Photonen werden blau, dann grün, dann gelb, rot und schließlich infrarot (so dass man sie mit Nachtsichtgeräten sehen kann); dann folgen der Mikrowellenbereich (die Wellen, die im Mikrowellenofen das Essen erwärmen) und schließlich der Bereich der Radiofrequenzen.
Was das bedeutet, erkannte Gamow als Erster. Alpher und sein Mitarbeiter Robert Herman arbeiteten es dann genauer aus: Wenn die Urknallmodelle stimmen, sollte der Raum heute überall mit Photonen angefüllt sein, die vom Schöpfungsereignis übrig geblieben sind. Diese Photonen laufen planlos durcheinander; dabei hängt ihre Schwingungsfrequenz davon ab, wie stark sich das Universum in den Jahrmilliarden seit ihrer Freisetzung ausgedehnt und abgekühlt hat. Wie sich durch mathematische Berechnungen zeigen lässt, sollten die Photonen sich
heute bis nahe an den absoluten Nullpunkt abgekühlt haben, womit sich ihre Frequenzen in den Mikrowellenbereich verschoben hätten. Aus diesem Grund
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