Die verborgene Wirklichkeit
darauf folgenden Überganges dehnt sich der Raum so schnell aus, dass das mikroskopisch Kleine zu makroskopischer Größe heranwächst. Und wie eine winzige Schrift, die auf einen schlaffen Luftballon geschrieben wurde und immer leichter lesbar wird, je stärker die Ballonoberfläche durch hineingeblasene Luft gedehnt wird, so wird auch der Einfluss der Quantenfluktuationen immer leichter erkennbar, wenn die Raumregionen, in welche die Fluktuationen eingebettet sind, durch die inflationäre Expansion immer größer werden. Genauer gesagt, wachsen winzige, durch Quantenfluktuationen erzeugte Energieunterschiede zu Temperaturabweichungen heran, die sich in der kosmischen Hintergrundstrahlung bemerkbar machen.
Wie man aus Berechnungen weiß, wären diese Temperaturunterschiede nicht gerade riesig, sie könnten aber immerhin die Größenordnung von einem tausendstel Grad erreichen. Wenn die Temperatur also in einer Region bei 2,725 K liegt, könnten die »aufgeblasenen« Quantenfluktuationen dazu führen, dass es in der Nachbarschaft beispielsweise mit 2,7245 K einen Hauch kühler oder mit 2,7255 K geringfügig wärmer ist.
Nach solchen Temperaturschwankungen hat man mit hochpräzisen astronomischen Beobachtungsmethoden gesucht. Und man hat sie auch gefunden. Genau wie die Theorie es vorhersagt, liegen sie im Bereich von einem tausendstel Grad (siehe Abbildung 3.4 ). Und was noch beeindruckender ist: Die winzigen Temperaturunterschiede bilden am Himmel ein Muster, dessen grundlegende Eigenschaften sich mit den Berechnungen bis ins Detail erklären lassen. Abbildung 3.5 zeigt den Vergleich zwischen den theoretischen Vorhersagen für die Temperaturschwankungen in Abhängigkeit vom Abstand zwischen zwei Regionen (gemessen als Winkel zwischen den jeweiligen Blickrichtungen von der Erde aus) und den tatsächlichen Messungen. Die Übereinstimmung ist verblüffend.
Im Jahr 2006 wurden George Smoot und John Mather mit dem Physik-Nobelpreis ausgezeichnet. Die beiden hatten Anfang der neunziger Jahre als Leiter des Satellitenprojekts »Cosmic Background Explorer« mit einem Team von über tausend Wissenschaftlern erstmals Temperaturunterschiede in den kosmischen Hintergrundstrahlung nachgewiesen. In den letzten zehn Jahren haben immer neue, genauere Messungen, die Daten wie die in Abbildung 3.5 eingezeichneten lieferten, zu immer genaueren Bestätigungen der vorhergesagten Temperaturschwankungen geführt.
Diese Arbeiten waren der bisherige Höhepunkt einer spannenden Entdeckungsgeschichte, die mit den Erkenntnissen von Einstein, Friedmann und Lemaître begann, durch die Berechnungen von Gamow, Alpher und Herman kräftig vorangetrieben wurde, durch die Ideen von Dicke und Peebles neuen Auftrieb bekam, durch die Beobachtungen von Penzias und Wilson auf eine solide Grundlage gestellt wurde und nun in der harten Arbeit ganzer Heerscharen von Astronomen, Physikern und Ingenieuren gipfelt: Diese maßen mit gemeinsamer Anstrengung eine fantastisch kleine kosmische Spur, die vor Jahrmilliarden entstanden ist.
Auf einer eher qualitativen Ebene sollten wir alle für die Flecken in Abbildung 3.4 dankbar sein. Als die Inflation in unserem Blasenuniversum zu Ende ging, übten Regionen mit geringfügig höherem Energiegehalt (die gemäß E = mc 2 Regionen mit geringfügig größerer Massendichte entsprechen) eine etwas stärkere Gravitationsanziehung aus; sie zogen mehr Teilchen aus ihrer Umgebung an und wuchsen dementsprechend an. Das größere Aggregat übte seinerseits eine noch stärkere Gravitation aus, zog weitere Materie an und wuchs immer weiter. Dieser Schneeballeffekt führte im Laufe der Zeit dazu, dass sich Materie- und Energieklumpen bildeten, aus denen in Jahrmilliarden die Galaxien und ihre Sterne wurden. Deshalb stellt die kosmische Inflation eine bemerkenswerte Verbindung zwischen den größten und kleinsten Strukturen im Kosmos her. Dass es überhaupt Galaxien, Sterne, Planeten und Leben gibt, ist eine Folge mikroskopisch kleiner Quantenfluktuationen, die durch die inflationäre Expansion verstärkt wurden.
Abbildung 3.4 Durch die ungeheure Expansion des Raumes während der kosmologischen Inflation werden Quantenfluktuationen von winzigen Ausmaßen zu makroskopischer Größe gedehnt. Die Folge sind beobachtbare Temperaturschwankungen in der kosmischen Hintergrundstrahlung (dunklere Bereiche sind geringfügig kälter als helle).
Abbildung 3.5 Die Verteilung der Temperaturunterschiede in der kosmischen
Weitere Kostenlose Bücher