Die verborgene Wirklichkeit
bereits die grundlegenden Eigenschaften von Teilchen, Atomen und Molekülen wären deutlich andere. Ein ausreichend starkes Magnetfeld würde die Zellfunktion so beeinträchtigen, dass Leben, wie wir es kennen, nicht Fuß fassen könnte.
So wie innerhalb eines Kernspintomographen die gleichen physikalischen Gesetze gelten wie außerhalb des Geräts, so sind auch die physikalischen Gesetze in diesem magnetischen Universum genau die gleichen wie in unserem. Die Diskrepanzen bei experimentellen Befunden und beobachtbaren Merkmalen wären ausschließlich auf einen Aspekt der Umwelt zurückzuführen: auf das starke Magnetfeld. Begabte Wissenschaftler in einem solchen magnetischen Universum könnten diesen Umweltfaktor früher oder später in ihren Modellen
berücksichtigen und würden zu den gleichen mathematischen Gesetzen gelangen, die wir entdeckt haben.
Argumente für ein ganz ähnliches Szenario haben Wissenschaftler im Laufe der letzten vierzig Jahre für unser eigenes Universum gesammelt. Die am besten bestätigte (und mit den meisten Preisen bedachte) grundlegende Theorie der Physik, das Standardmodell der Teilchenphysik , postuliert, dass wir von einem exotischen Nebel umgeben sind, dem Higgs-Feld (der Name geht auf den englischen Physiker Peter Higgs zurück, der in den sechziger Jahren auf dem Gebiet Pionierarbeit leistete; Robert Brout, François Englert, Gerald Guralnik, Carl Hagen und Tom Kibble lieferten aber ebenfalls wichtige Beiträge). Higgs-Felder sind wie Magnetfelder unsichtbar und können deshalb den Raum erfüllen, ohne dass ihre Gegenwart sich unmittelbar bemerkbar macht. Nach der modernen Theorie der Teilchenphysik tarnt ein Higgs-Feld sich jedoch noch viel umfassender. Wenn die Teilchen sich durch ein konstantes, den Raum ausfüllendes Higgs-Feld bewegen, werden sie weder beschleunigt noch verlangsamt, und sie werden auch nicht auf eine bestimmte Bahn gezwungen, wie es manchen von ihnen beispielsweise in einem starken Magnetfeld widerfahren würde. Stattdessen, so die Theorie, werden sie auf eine viel raffiniertere, tief greifendere Weise beeinflusst.
Wenn Elementarteilchen durch ein Higgs-Feld pflügen, nehmen sie gerade die Masse an, die sie den experimentellen Befunden zufolge besitzen, und behalten sie auch. Wenn man diesem Gedanken zufolge Druck auf ein Elektron oder ein Quark ausübt, um seine Geschwindigkeit zu verändern, ist der dabei spürbare Widerstand auf eine Art »Reibung« zwischen dem Teilchen und dem zähflüssigen Higgs-Feld zurückzuführen. Diesen Widerstand bezeichnen wir als Masse des Teilchens. Könnte man das Higgs-Feld aus einer Region komplett entfernen, so hätten die Teilchen, die diesen Bereich durchqueren, plötzlich keine Masse mehr. Verdoppelte man in einer anderen Region den Wert des Higgs-Feldes, dann betrüge die Masse der Teilchen, die sie durchqueren, plötzlich das Doppelte des Normalwertes. h
Solche willkürlichen Veränderungen des Higgs-Feldes sind allerdings rein hypothetischer Natur, denn die Energie, die notwendig wäre, um den Wert eines Higgs-Feldes auch nur in einer kleinen Region des Raumes nennenswert zu
beeinflussen, liegt weit jenseits von allem, was uns Menschen zu Gebote steht. (Darüber hinaus sind die Veränderungen auch deshalb hypothetischer Natur, weil die Frage, ob Higgs-Felder überhaupt existieren, noch offen ist. Die Theoretiker freuen sich eifrig auf höchst energiereiche Zusammenstöße zwischen Protonen im Teilchenbeschleuniger LHC, denn dabei sollten in den kommenden Jahren kleine Stücke des Higgs-Feldes – Higgs-Teilchen – so herauspräpariert werden können, dass man sie nachweisen kann.) In vielen Inflationsmodellen jedoch hätte das Higgs-Feld von Natur aus von Blasenuniversum zu Blasenuniversum verschiedene Werte .
Ganz ähnlich wie das Inflatonfeld hat auch das Higgs-Feld eine Potenzialkurve, die angibt, wie viel Energie das Feld bei den verschiedenen Werten, die es annehmen kann, enthält. Zur Potenzialkurve des Inflatonfelds besteht dabei aber ein entscheidender Unterschied: Das Higgs-Feld bleibt in der Regel nicht beim Wert null liegen (wie in Abbildung 3.1 ), sondern rollt in eine der Vertiefungen, die in Abbildung 3.6(a) wiedergegeben sind. Stellen wir uns nun einmal zwei Blasenuniversen, unseres und ein anderes, im Frühstadium vor. In beiden sorgt heiße, stürmische Hektik dafür, dass der Wert des Higgs-Feldes wild fluktuiert. Wenn die beiden Universen hinreichend weit expandiert sind und sich
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