Die verborgene Wirklichkeit
entsprechend abgekühlt haben, beruhigt sich das Higgs-Feld, und sein Wert rollt in eine der Vertiefungen wie in Abbildung 3.6(a). In unserem Universum kommt der Wert des Higgs-Feldes beispielsweise in der linken Vertiefung zur Ruhe, und es entstehen die Teilcheneigenschaften, die uns aus unseren experimentellen Beobachtungen vertraut sind. In dem anderen Universum jedoch führt die Bewegung des Higgs-Feldes vielleicht dazu, dass es am Ende in der rechten Vertiefung liegen bleibt. Wenn das der Fall ist, hat dieses andere Universum Eigenschaften, die sich deutlich von denen unseres eigenen unterscheiden. Die grundlegenden Gesetze wären zwar in beiden Universen die gleichen, die Masse und verschiedene andere Eigenschaften der Teilchen aber nicht.
Schon ein geringfügiger Unterschied in den Eigenschaften der Teilchen hätte gewichtige Folgen. Wäre die Masse eines Elektrons in einem anderen Blasenuniversum nur wenige Male größer als hier, hätten Elektronen und Protonen das Bestreben, miteinander zu verschmelzen. Dabei würden Neutronen entstehen, und Wasserstoff wäre in dem entsprechenden Universum so gut wie ausgestorben. Auch die grundlegenden Kräfte – die elektromagnetische Kraft, die Kernkräfte und (wie wir glauben) die Gravitation – werden von Teilchen übertragen. Ändern sich deren Eigenschaften, so kommt es auch zu einem drastischen Wandel in den Eigenschaften der Kräfte. Je schwerer beispielsweise ein Kraftteilchen ist, desto träger bewegt es sich und desto kürzer ist die Entfernung, über die es die zugehörige Kraft überträgt. Die Entstehung und Stabilität der Atome in unserem Blasenuniversum ist abhängig von den Eigenschaften der elektromagnetischen Kraft und der Kernkräfte. Werden diese nennenswert abgewandelt, fallen die Atome auseinander, oder – wahrscheinlicher – sie finden sich überhaupt nicht erst zusammen. Eine merkliche Veränderung der Teilcheneigenschaften würde also gerade jene Prozesse beeinträchtigen, die unserem Universum seine vertrauten Eigenschaften verleihen.
Abbildung 3.6 (a) Eine Potenzialkurve eines Higgs-Feldes mit zwei Vertiefungen. Die vertrauten Eigenschaften unseres Universums entsprechen dem Feld, das in der linken Vertiefung zur Ruhe gekommen ist; in einem anderen Universum jedoch könnte sich das Feld stattdessen in der rechten Vertiefung niedergelassen haben, was zu anderen physikalischen Eigenschaften führt. (b) Ein Beispiel für eine Potenzialfläche in einer Theorie mit zwei Higgs-Feldern.
Abbildung 3.7 Da die Felder in den einzelnen Blasenuniversen bei verschiedenen Werten zur Ruhe kommen können, haben die Universen im inflationären Multiversum unter Umständen unterschiedliche physikalische Eigenschaften, obwohl in allen die gleichen grundlegenden physikalischen Gesetze gelten.
Abbildung 3.6(a) zeigt nur den einfachsten Fall mit einem einzigen Higgs-Feld. In der theoretischen Physik hat man aber auch kompliziertere Szenarien untersucht, in denen mehrere verschiedene Higgs-Felder existieren (wie wir in Kürze erfahren werden, ergeben sich solche Möglichkeiten ganz von selbst aus der Stringtheorie); diese lassen sich in eine noch reichhaltigere Sammlung unterschiedlicher Blasenuniversen umsetzen. Ein Beispiel mit zwei Higgs-Feldern zeigt Abbildung 3.6(b). Die verschiedenen Vertiefungen stellen wie zuvor Werte des Higgs-Feldes dar, bei denen dieses oder jenes Blasenuniversum zur Ruhe kommen könnte.
Solche Universen, durch die sich Higgs-Felder mit nicht vertrauten Werten ziehen, würden sich von unserem beträchtlich unterscheiden; dies ist in Abbildung 3.7 symbolisch dargestellt. Damit würde eine Reise durch das inflationäre Multiversum zu einem gefährlichen Unternehmen. Viele andere Universen wären vielleicht nicht gerade der Ort, den man auf einer solchen Expedition gern aufsuchen würde: Die dortigen Bedingungen wären mit den biologischen Prozessen, die für das Überleben unentbehrlich sind, unvereinbar, womit das alte Sprichwort, es sei nirgendwo so schön wie zu Hause, eine ganz neue Bedeutung bekommt. Im inflationären Multiversum könnte unser Universum durchaus eine Insel der Fruchtbarkeit in einem riesigen, aber weitgehend unbewohnbaren kosmischen Archipel sein.
Universen in einer Nussschale
Wegen der grundlegenden Unterschiede mag es so aussehen, als hätten das Patchwork- und das inflationäre Multiversum nichts miteinander zu tun. Die Patchworkvariante ergibt sich, sobald der Raum unendlich groß ist; die
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