Die verborgene Wirklichkeit
bleibt es oben.
So weit, so gut. Aber jetzt gut aufgepasst: An dieser Stelle besteht zwischen Kosmologie und Cartmans ein Unterschied. Ein Feld, das sich ganz im oberen Bereich seiner Energiekurve befindet, übt auf sein Umfeld einen viel größeren Einfluss aus als ein Cartman in ähnlicher Position. An unserem altbekannten Mantra – die einheitliche Energie und der negative Druck eines Feldes erzeugen abstoßende Gravitation – erkennen wir, dass die Region, durch die das Feld sich zieht, sich mit ungeheurer Geschwindigkeit ausdehnt. Demnach wird die räumliche Entwicklung des Inflatonfelds von zwei entgegengesetzten Prozessen vorangetrieben: Quantenfluktuationen stoßen das Feld in der Regel von seinem erhöhten Platz hinunter und verringern damit die Menge des Raumes, die von der hohen Feldenergie durchtränkt ist. Die inflationäre Expansion vergrößert sehr schnell die Bereiche, in denen das Feld noch seinen erhöhten Platz innehat, und steigert das Raumvolumen, in dem sich eine hohe Feldenergie befindet.
Welcher Prozess behält die Oberhand?
In den allermeisten vorgeschlagenen Versionen des inflationären Kosmos läuft die Zunahme mindestens ebenso schnell ab wie die Abnahme. Der Grund: Ein Inflatonfeld, das sich allzu leicht von seinem erhöhten Platz hinunterstoßen lässt, erzeugt zu wenig inflationäre Expansion und kann damit das Horizontproblem nicht lösen; in kosmologisch erfolgreichen Versionen der Inflation gewinnt daher die Zunahme gegenüber der Abnahme, und damit ist dafür gesorgt, dass das Gesamtvolumen derjenigen Raumregion, in der die Feldenergie hinreichend hoch ist, im Laufe der Zeit zunimmt. Berücksichtigt man, dass eine solche Konfiguration des Feldes weitere inflationäre Expansion verursacht, dann wird klar, dass die Inflation, wenn sie denn einmal begonnen hat, niemals enden wird.
Abbildung 3.2 Verschiedene Bereiche, in denen das Inflatonfeld den Abhang hinuntergerollt ist (dunkelgrau) oder bei einem höheren Wert bleibt (hellgrau).
Das Ganze ähnelt einer Virusepidemie. Um die Gefahr zu beseitigen, muss man das Virus schneller ausrotten, als es sich fortpflanzen kann. Das Inflationsvirus »pflanzt sich fort« – ein hoher Feldwert bewirkt eine rasche Expansion des Raumes und durchtränkt damit einen noch größeren Bereich mit dem gleichen hohen Feldwert, und das geht schneller als seine Beseitigung durch den Konkurrenzprozess. Das Inflationsvirus widersteht sehr wirksam der Ausrottung. 9
Schweizer Käse und der Kosmos
Zusammengenommen zeigen diese Erkenntnisse, dass die Inflationsmodelle zu einem ganz neuen Bild von den Ausmaßen der Wirklichkeit führen. Am leichtesten begreift man das mit einer einfachen visuellen Hilfestellung. Stellen wir uns das Universum einmal als riesiges Stück Schweizer Käse vor; die Käseteile sind Regionen, in denen das Inflatonfeld einen hohen Wert hat, im Bereich der Löcher ist der Wert niedrig. Die Löcher sind Regionen wie die unsere, die den Übergang von der superschnellen zur eher gemächlichen Expansion bereits
hinter sich gebracht haben, wobei die Energie des Inflatonfelds sich in ein Meer von Teilchen verwandelt hat, die sich im Laufe der Zeit zu Galaxien, Sternen und Planeten zusammenfinden können. Wie wir erfahren haben, bilden sich in dem kosmischen Käse dieses Bildes mit der Zeit immer mehr Löcher, weil Quantenprozesse den Wert des Inflatons an zufällig ausgewählten Stellen im Raum nach unten treiben. Gleichzeitig dehnen sich aber auch die Käseteile immer weiter aus, weil sie der inflationären Expansion unterliegen, die durch den in ihnen enthaltenen hohen Wert des Inflatonfelds angetrieben wird. Gemeinsam erzeugen die beiden Prozesse ein ständig wachsendes kosmisches Käsestück, das mit einer immer größeren Zahl von Löchern durchsetzt ist. In der Sprache der Kosmologie ist für solche Löcher auch der Begriff Blasenuniversum üblich. Jedes davon ist eine Öffnung innerhalb der sich superschnell ausdehnenden kosmischen Weite ( Abbildung 3.3 ).
Abbildung 3.3 Das inflationäre Multiversum entsteht, indem sich in einer räumlichen Umgebung, die fortwährend expandiert und von einem Inflatonfeld durchzogen ist, Blasenuniversen bilden.
Die nicht unanschauliche, aber auch etwas verniedlichende Bezeichnung »Blasenuniversum« sollte uns nicht täuschen. Unser Universum ist riesengroß. Dass es vielleicht nur eine einzige Region darstellt, die in eine noch größere kosmische Struktur eingebettet ist – eine einzige
Weitere Kostenlose Bücher