Die verborgene Wirklichkeit
Hubble-Expansion bei Aufstellung der allgemeinen Relat[ivitätst]heorie bereits entdeckt gewesen sein, so wäre es nie zur Einführung der kosmologischen Konstante gekommen.« 2 Aber hinterher ist man nicht immer klüger; manchmal geht auch frühere Klarheit verloren. 1917 hatte Einstein in einem Brief an den Physiker Willem de Sitter bereits eine differenziertere Sichtweise zum Ausdruck gebracht:
Eines bleibt jedenfalls. Das allgemeine Relativitätspostulat gestattet die Zufügung [einer kosmologischen Konstante] in den Feldgleichungen. Es wird wohl doch einmal unsere thatsächliche Kenntnis von der Konstitution des Fixstern-Himmels, von den scheinbaren Bewegungen der
Fix-Sterne und von der Lage der Spektrallinien in Funktion des Abstandes von uns so weit sein, dass die Frage, ob [die kosmologische Konstante] verschwindet oder nicht, empirisch wird entschieden werden können. Überzeugung ist eine gute Triebfeder, aber ein schlechter Richter! 3
Rund achtzig Jahre später schlugen das Supernova Cosmology Project unter Leitung von Saul Perlmutter und das High-Z Supernova Search Team unter Leitung von Brian Schmidt genau diesen Weg ein. Sie untersuchten sehr eingehend eine Fülle von Spektrallinien – Licht, das von weit entfernten Sternen ausgesandt wird – und konnten damit, wie Einstein vorausgesagt hatte, empirisch die Frage klären, ob die kosmologische Konstante verschwindet.
Zum Entsetzen vieler Kollegen fanden sie stichhaltige Belege dafür, dass dem nicht so ist.
Kosmisches Schicksal
Als sie mit ihrer Arbeit begannen, stand die Messung der kosmologischen Konstante für keine der beiden Gruppen im Mittelpunkt des Interesses. Vielmehr hatten sie es sich zum Ziel gesetzt, ein anderes kosmologisches Merkmal zu messen: die Rate, mit der sich die Expansion des Raumes verlangsamt. Die gewöhnliche Gravitationsanziehung zieht jedes Objekt zu jedem anderen Objekt hin und sorgt so dafür, dass die Expansionsgeschwindigkeit abnimmt. Das genaue Ausmaß dieser Verlangsamung ist von entscheidender Bedeutung, wenn man vorhersagen will, wie das Universum in ferner Zukunft aussehen wird. Bei genügender Abbremsung würde die Expansionsgeschwindigkeit des Raumes irgendwann auf null zurückgehen und sich dann umkehren, so dass eine Phase der Kontraktion folgt. Wird diese nicht in irgendeiner Weise aufgehalten, kommt es am Ende zum Big Crunch , dem Gegenteil des Urknalls (der auf Englisch Big Bang heißt), wie es den im vorangegangenen Kapitel vorgestellten zyklischen Modellen entspricht. Eine geringfügigere Verlangsamung würde dagegen zu einer ganz anderen Entwicklung führen: Ähnlich wie ein Ball mit hinreichend hoher Geschwindigkeit der Erdschwerkraft entkommen kann und dann immer weiter nach außen fliegt, so würde auch der Raum für alle Zeiten expandieren, wenn seine anfängliche Ausdehnungsgeschwindigkeit groß genug und die Verlangsamung hinreichend gering sind. Die beiden Gruppen wollten die Verlangsamung der kosmischen Expansion messen und so zu Aussagen über
das letzte Schicksal des Kosmos gelangen, und zwar zunächst durch Messungen, wie schnell der Raum zu verschiedenen Zeitpunkten in der Vergangenheit expandiert war, um dann durch Vergleich der ermittelten Geschwindigkeiten direkt zu sehen, wieweit sich die Expansion im Laufe der kosmischen Geschichte verlangsamt hätte. Aber wie macht man das? Wie in vielen Fragen der Astronomie, so stammt die Antwort auch hier aus sorgfältigen Messungen am Licht. Galaxien sind Leuchttürme, deren Bewegung der Expansion des Raumes folgt. Wenn wir feststellen könnten, wie unterschiedlich schnell unterschiedlich weit von uns entfernte Galaxien von uns zurückgewichen sind, als sie vor langer Zeit das Licht aussandten, das wir heute sehen, könnten wir daraus schließen, wie schnell der Raum zu verschiedenen Zeitpunkten in der Vergangenheit expandierte. Durch Vergleich dieser Geschwindigkeiten könnten wir die Verlangsamung der Expansion ermitteln. Soweit die Kernidee.
Um in die Details zu gehen, müssen wir uns mit zwei Hauptfragen beschäftigen. Wie können wir aufgrund der heutigen Beobachtung weit entfernter Galaxien etwas über ihre Entfernung in Erfahrung bringen, und wie ermitteln wir ihre Geschwindigkeit? Fangen wir mit der Entfernung an.
Entfernung und Helligkeit
Herauszufinden, wie weit Himmelskörper von uns entfernt sind, ist eine der ältesten und wichtigsten Aufgaben der Astronomie. Eines der ersten Verfahren, das man zu diesem Zweck verwendete, misst
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