Die verborgenen Bande des Herzens
tickt.« Er schaut mich an. »Wissen Sie, was ich meine?«
Ich kann nicht behaupten, dass dies der Fall ist. Ich bin immer davongelaufen, es war mir einfach zu anstrengend abzuwarten, eine Art gemeinsame Geschichte mit jemandem aufzubauen. Diese Selbsterkenntnis bewirkt, dass ich mir ein wenig unzulänglich vorkomme, also nicke ich bestätigend.
»Klar«, erwidere ich.
»Wir beide waren sehr verschieden. Carol Ann ist ein so … sie kann nicht … sie tut sich mit allen möglichen Dingen ziemlich schwer. Sie ist eine Träumerin. Ich versuche manchmal, sie ein bisschen lebenstüchtiger zu machen, sie dazu zu bringen, die Dinge realistischer zu betrachten … und das führt zwangsläufig zu Spannungen.«
»Worum geht es dabei?«
Er zuckt mit den Achseln.
»Alles. Wir sehen die Dinge eben verschieden.«
»Haben Sie sie jemals geschlagen?«
»Nein.« Das Wort knallt mir entgegen wie ein Peitschenhieb.
»Lily behauptet, Sie hätten Ihrer Frau wehgetan.«
Er zeigt nicht offen, wie verärgert er ist, aber seine Augen verfinstern sich, und er schüttelt den Kopf. Er schaut zwar nicht her zu mir, aber ich sehe dennoch, wie sich sein Mund verzerrt, als er sich auf die Wangen beißt.
»Ich bin mir ziemlich sicher, dass sie da recht hat«, sagt er leise.
»Also meint Lily auf emotionaler Ebene?«
Alex gibt mir keine Antwort.
»Waren Sie ihr treu?« Die Frage bricht so unverblümt aus mir heraus, dass sie von der Wand abzuprallen scheint wie ein Querschläger. Ich stelle die Frage nur zum Teil aus beruflichem Interesse. Ganz ehrlich, ich bin einfach neugierig.
»Das geht Sie nichts an«, versetzt Alex in scharfem Ton.
»Wollen Sie Carol Ann finden oder nicht?«
»Was hat meine Treue oder Untreue damit zu tun?«
»Ich versuche, Carol Anns Motiv herauszufinden.«
»Nun, Untreue meinerseits war es nicht.«
»Das behaupten Ehemänner immer.«
»Oh, ich bitte Sie …« Er erhebt sich und geht zurück in die Küche, und ich sehe ihm schweigend nach. Er wirkt aufgebracht. Er wäscht seine Tasse im Spülbecken aus und dreht dabei den Hahn so stark auf, als würde er ein Feuer löschen wollen.
»Was ist? Hat die Frage Schuldgefühle bei Ihnen geweckt?«
» Was ?«, erwidert er ungläubig, dreht sich zu mir herum und schaut mich an, als wäre ich total plemplem.
»Sie sehen aus, als hätten Sie ein schlechtes Gewissen.«
»Ach, tatsächlich? Sie haben auf der Polizeischule wohl mal was von Psychologie gehört und fühlen sich seitdem berufen?« Er dreht das Wasser zu. »Wer hat den Kurs geleitet – Noddy aus dem Spielzeugland?«
Draußen auf dem Flur höre ich das typische Pochen von Lilys Gehstock auf dem Parkett, das lauter wird.
»Mist«, sagt Alex. Er schaut mich direkt an, in seinen Augen steht eine deutliche Warnung. »Reden wir später weiter«, sagt er.
Lautes Poltern, als Lily ihren Stock zu Hilfe nimmt, um die Küchentür aufzustoßen. Krachend schlägt sie gegen den Küchenschrank an der Wand dahinter, und dann steht Lily in der Tür und schaut böse von einem zum anderen, wie ein Raubvogel, der im Begriff ist, sich auf seine Beute zu stürzen.
14. Kapitel
Carol Ann
I ch kletterte über Felsbrocken und Geröll. Der Stein, hart unter meinen Fingern, glitzernd wie Granit, wo das Meerwasser ihn benetzt. Glitschig unter meinen Füßen, wo Algen und wirre Büschel von Tang ihn bedecken. Die Sonne brennt mir auf den Rücken wie eine Lötlampe, während ich mir einen Weg um die warmen Tümpel suche, in denen winzige Fische hin und her flitzen, sodass ich nur ihre Bewegung wahrnehme. Nichts anderes interessiert mich jetzt. Nur der Moment zählt, nur seinetwillen existiere ich: die Hitze, die körperliche Anstrengung, das mühsame Zickzack-Laufen zwischen den Felsen, um zu der Bucht zu gelangen, deren silberweißer Sand in der Ferne schimmert. Sie liegt da, getaucht in Sonnenlicht, sie winkt mich zu sich heran.
Als ich endlich meine Füße auf den pudrigen Sand setze, keuche ich vor Anstrengung. Hinter mir der felsige Hügel; in der Ferne, oberhalb des Strandes, das leuchtende Blau des kleinen Häuschens. Ich lege mich lang ausgestreckt auf den Sand, schiebe mir meine Strickjacke als Kissen unter den Kopf und lausche dem Rauschen der Brecher, wie sie an den Strand schlagen. Das Meer hier ist niemals völlig ruhig, auch nicht an heißen, windstillen Tagen. Meine Haut kribbelt von dem leichten Schweißfilm, der sie bedeckt. Ich drehe mich auf den Bauch, stütze mich auf die Ellbogen und blicke hinaus auf
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