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Die verborgenen Bande des Herzens

Die verborgenen Bande des Herzens

Titel: Die verborgenen Bande des Herzens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Catherine Deveney
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und wird es nie zu etwas bringen, wenn sie so weitermacht«, fuhr Miss Bailey fort.
    Ich saß neben Lily, die Augen niedergeschlagen, und hörte Miss Bailey zu. Diese blöde Ziege. So schlecht, wie sie mich darstellte, war ich nicht. Bei Weitem nicht.
    Miss Baileys harte kleine Augen sahen Lily herausfordernd an, doch Lily schwieg.
    »Ich hoffe, Sie werden sie dazu anhalten, fleißiger zu sein und ihr klarmachen, wie wichtig gute Zensuren für ihre Zukunft sind«, fuhr sie fort, nun ein wenig ungeduldig.
    »Worin – genau – besteht Ihrer Meinung nach Carol Anns Problem?« Lily zog ihren Cardigan enger um die Brust und verschränkte die Arme, wobei ihre Hände weiter die Vorderkanten der Strickjacke festhielten.
    »Mangelnder Eifer«, erwiderte Miss Bailey barsch. »Außerdem fehlt es ihr an Disziplin. Neulich ist sie sogar während des Unterrichts eingeschlafen. Achten Sie auch darauf, dass sie genügend Schlaf bekommt?«
    Miss Baileys Sprache war seltsam förmlich. Dahinter verschanzte sie sich vor der Welt. Doch Lily auf den Zahn zu fühlen, auszuforschen, worauf sie achtete und worauf sie nicht achtete, war, als würde man mit dem Fingernagel über eine frische Wunde fahren. Lily wollte eine gute Mutter sein, aber ihr als Alkoholikerin war das schlichtweg nicht möglich. Nur wollte Lily das nicht wahrhaben. Ich konnte förmlich sehen, wie sie vor Wut kochte. Sie war kurz davor zu explodieren.
    »Natürlich gibt es noch eine andere mögliche Erklärung dafür, dass sie in Ihrem Unterricht eingeschlafen ist«, sagte Lily schließlich. »Vielleicht hat sie sich einfach gelangweilt.«
    »Ich bin hier, um zu unterrichten, Mrs Matheson, und nicht, um meine Schüler zu unterhalten. Ich werde schließlich nicht bezahlt, um eine Zirkusnummer vorzuführen.«
    Lily beugte sich über den Tisch zu Miss Bailey.
    »Ich habe den Eindruck, Sie haben was gegen meine Tochter.«
    Miss Bailey lehnte sich mit betontem Abscheu zurück.
    »Haben Sie getrunken, Mrs Matheson?«, sagte sie. »Denn ich sehe wirklich keinen Sinn darin, diese Unterhaltung fortzuführen, wenn Sie getrunken haben.«
    Lily erhob sich halb von ihrem Stuhl und legte beide Handflächen auf Miss Baileys Tisch.
    »Hören Sie mir mal gut zu, Sie … Sie … verdorrte alte Elchkuh …«, hörte ich Lily sagen und bekam vor Schreck den Mund nicht mehr zu. Cheryl Sweeney, die mit ihren Eltern am Nachbartisch saß, wo sie sich mit Mrs Walters, der Mathematiklehrerin, unterhielten, riss den Kopf herum und schaute mit großen Augen zu uns herüber. »Hören Sie einfach auf, Ihre Nase in meine Angelegenheiten zu stecken, und beschränken Sie sich darauf, so gut es geht Ihre Arbeit zu machen«, sagte Lily mit eisiger Stimme. Dann stand sie auf und wandte sich zum Gehen, und da passierte es.
    Natürlich behauptete später jeder, Mrs Matheson sei bei jenem denkwürdigen Zwischenfall in der Aula sturzbetrunken gewesen und habe ihre Umgebung aufs Übelste beschimpft, als sie der Länge nach hinfiel und dabei aller Welt ihre roten Unterhosen präsentierte. (Rote Seide! War sie nicht nur eine Schnapsdrossel, sondern auch noch eine Hure?) Aber die Wahrheit ist, dass sie gar nicht richtig betrunken war; ihr Fuß hatte sich beim Aufstehen lediglich in dem Riemen ihrer Tasche verfangen, die neben ihrem Stuhl auf dem Boden lag.
    Was für ein Abgang.
    Auf der Heimfahrt im Bus saßen Lily und ich in einträchtigem Schweigen nebeneinander.
    »Was ist nur in dich gefahren, sie eine verdorrte alte Elchkuh zu nennen?«, brach ich schließlich das Schweigen.
    »Weiß ich auch nicht«, erwiderte Lily. »Ich glaube, es war wegen der Haare auf ihrem Kinn.«
    Daraufhin brachen wir beide in Lachen aus, eine Situation, die Seltenheitswert hatte.
    »Hat eine Elchkuh Haare auf dem Kinn?«
    »Keine Ahnung. Aber ich könnte es mir durchaus vorstellen.«
    Auf dem gesamten Heimweg schüttelten wir uns vor Lachen. Als wir aus dem Bus stiegen, ergriff ich Lilys Arm – ausnahmsweise aus einem Gefühl der Freundschaft heraus und weniger, weil ich den Drang verspürte, sie zu stützen –, und wir beide gingen im Licht der Straßenlaternen nach Hause, das die regennassen Pflastersteine des Gehwegs wie Juwelen schimmern ließ.

15. Kapitel
    Karen
    D r. Hammond stützt die Ellbogen auf die Armlehnen seines Schreibtischsessels und nimmt seine vertraute Pose ein, die Fingerspitzen beider Hände aneinandergelegt, sodass sie ein Dreieck bilden. Die Basis dieses Dreiecks sind seine beiden Daumen, und er neigt den

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