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Die verbotene Pforte

Die verbotene Pforte

Titel: Die verbotene Pforte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ravensburger
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Tobbs musste widerstrebend zugeben, dass sie ihre Sache gut machte. Der Pfau fauchte unwillig und schüttelte sich in der Luft. Die Flügel fielen in sich zusammen, der Körper streckte und wand sich in der Luft. Wo eben noch Federn gewesen waren, wallte nun blaues Schlangenhaar, das sich um das wahre Gesicht der Schwarmfrau wand. Viel längere, dunkle Flügel schlugen nun in der Luft.
    Tobbs prallte zurück und hätte beinahe den Jungen neben sich umgestoßen. Eine lange rote Zunge schoss aus dem grausamen Mund, doch Ambar war schneller. Bevor die Schwarmfrau ihr die Zunge wie eine Peitsche um den Hals schlingen konnte, machte sie einen Sprung nach hinten. Ambar drehte sich in der Luft, fing sich mit den Armen ab und rannte weiter – aus Tobbs’ Sichtfeld. Er stürzte zu dem Spalt und spähte hindurch. Dort war sie – weit rechts. Und viel zu weit entfernt vom nächsten Schutzturm, bei einer Kreidemarkierung, die mit der Zahl 5 gekennzeichnet war. Es war ein Spiel – für Ambar. Doch die Schwarmfrau wurde jetzt richtig wütend. Wie ein Rachedämon raste sie hinter dem Mädchen her. Tobbs fragte sich, warum sie nicht mit den Füßen auf dem Dach aufkam. Und vor allem: Wo war die zweite Schwarmfrau abgeblieben?
    »Na los!«, rief Ambar in Richtung Turm. »Raus aus der Deckung, ihr Feiglinge!« Ihr Lachen hallte durch das Schutzhaus.
    »Geh aus dem Weg!«, zischte ihm der größere Junge zu, dann schubste er Tobbs einfach beiseite und rannte auf das Dach. Die zwei Mädchen tauchten links von ihm auf, völlig außer Atem, aber mit leuchtenden Augen.
    Für einen Moment erhaschte Tobbs einen Blick in den Spionspiegel. Die Mädchen lachten ihrem Spiegelbild zu. Tobbs kniff wütend die Lippen zusammen. Wie konnte man bloß so dumm und sensationslüstern sein? Beinahe noch wütender war er auf die Leute, die irgendwo die Szene verfolgten, vielleicht sogar die Punkte zählten und Wetten abschlossen, wer von den DZHS auf dem Dach lebendig wieder in den Schacht steigen würde. Nun, dachte er mit grimmigem Trotz, zumindest von ihm würden sie nicht viel mehr sehen als ein dunkles, wolkiges Etwas. Immer noch konnte er sich keinen Reim darauf machen, warum die Schwarmfrauen nicht einfach auf dem Dach landeten, aber es schien eine magische Grenze zu geben, die sie nicht überschreiten konnten. Machte den dämonischen Wesen dieses verrückte Spiel etwa auch Spaß?
    Ein Schrei ließ Tobbs zusammenzucken. Eines der Mädchen taumelte und stürzte. Blut färbte den Kreidestrich. Die Schwarmfrau schraubte sich in einer spiralförmigen Kurve in die Luft und stieß einen schrillen, triumphierenden Raubvogelruf aus. Das Mädchen stöhnte und rappelte sich wieder auf. An ihrem Oberschenkel klaffte eine hellrote Wunde. Humpelnd torkelte sie auf das Schutzhaus zu. Die Schwarmfrau lachte lautlos und legte die Flügel an.
    Tobbs dachte nicht nach. Mit einem Satz war er aus der Schutzhütte und rannte. Im Rennen löste er den Beutel mit Bleisand von seinem Gürtel. Aus dem Augenwinkel nahm er wahr, wie sich Ambar im letzten Moment mit einem eleganten Sprung in einen Schutzturm flüchtete.
    »He, Spatzenhirn!«, schleuderte er der Schwarmfrau entgegen. Das Gesicht mit den leeren Augen und der schimmernden Echsenhaut wandte sich ihm zu. Tobbs holte mit aller Kraft Schwung – und ließ den Bleisandbeutel los. Er hatte gut gezielt. Mit einem hässlichen Klatschen landete der Beutel genau auf der Stirn der Schwarmfrau. Sie kippte in der Luft, wirbelte und drehte sich um sich selbst – ein heilloses Durcheinander aus fuchtelnden Händen, Haaren und Federn.
    »Idiot!«, zischte das Mädchen. »Jetzt sind meine Punkte futsch!«
    Tobbs warf ihr einen verständnislosen Blick zu. Pfeile und Steinkugeln hagelten auf das Dach – auf den Nebendächern bemühten sich die Wächter immer noch, die anderen Schwarmfrauen in die Flucht zu schlagen. Ein erstickter Schrei brach mit einem Mal ab, als sich eine der Schwarmfrauen mit einem Wächter in den Klauen durch die Luft entfernte.
    »Lauf!«, brüllte Ambar. »Die zweite ist hinter dir!«
    Tobbs nahm sie beim Wort. Im ersten Augenblick wäre er fast gestolpert, denn der Verlust des einen Beutels hatte sein Gleichgewicht vollkommen verändert. Ein Fauchen erklang, dann rissen zwei scharfe Krallen seinen Mantel der Länge nach durch. Tobbs duckte sich und stürmte los. Vier große Sprünge bis zur Stadtmauer, schätzte er. Und Anguanas Glück, dass ihn keine der herunterregnenden Kugeln treffen würde.

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