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Die verbotene Pforte

Die verbotene Pforte

Titel: Die verbotene Pforte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ravensburger
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kamen sie dann?«
    Dopoulos hob hilflos die Schultern. »Sie waren, wie gesagt, auf der Durchreise. Aber sie wollten eines Tages zurückkommen.«
    »Zu wem haben sie das gesagt? Zu dir?«
    »Nein, natürlich nicht … Der Schuster hat es gehört, als sie sich auf der Straße unterhielten.«
    »Und wann kommen sie zurück?«
    »Wenn du älter bist.«
    Tobbs lachte bitter. »Und in welcher Gestalt werden sie hier auftauchen? Auf zwei Beinen? Auf vier? Oder fliegen sie wie die Schwarmfrauen?«
    Zufrieden sah er, wie Dopoulos überrascht die Augen aufriss. »Ich bin kein Mensch, Dopoulos. Ich höre sogar Füchse sprechen, stell dir vor! Aber was bin ich? Ein Dämon?«
    Der Wirt lehnte sich zurück. »Ein Dämon sicher nicht. Sonst hätten die Olitai-Gäste dich als einen der ihren erkannt. Und du hast sehr viel Menschliches an dir, der größte Teil von dir ist menschlich. Aber was du sonst noch bist, kann ich dir leider auch nicht sagen.« Nun schwang echtes Bedauern in seiner Stimme mit. »Es tut mir leid, Tobbs, mehr haben wir nicht erfahren. Aber du wirst es eines Tages herausfinden.«
    »Ja, wenn ich bis dahin noch lebe«, erwiderte Tobbs grob. Wütend stampfte er aus dem Zimmer und griff nach dem Fell des Mancors.
    »Tobbs!« Anguana löste sich aus einem Türschatten. »Was hat sie gesagt?«
    »Nichts! Lass mich in Ruhe, Anguana. Geh zu deiner Familie und deinen Gämsen!« Mit diesen Worten ließ er das fassungslose Mädchen stehen und machte sich auf den Weg zu seiner Kammer.
    Kali saß auf der Ofenbank, das Schwert aufgestützt vor sich. Die Spitze hatte sich tief in die Dielen gebohrt. Reglos standen die Figuren – Tobbs hölzerne Familien – auf den Regalen und der Fensterbank und schienen ihn bang zu erwarten. Ihr vertrauter Anblick gab Tobbs ein wenig Mut. Mit klopfendem Herzen trat er ein und ertrug es, dass die Göttin ihren Blick aus blutroten Augen auf ihn richtete. Ein schmerzhaftes Prickeln breitete sich auf seiner Haut aus, als würde ihr Blick ihn versengen. Der tote Mann an Kalis Ohr war noch fahler als sonst. »Auweia«, wisperte er. »Der Mancor der Herrin ist tot. Oje, oje, ich wünschte, meine Augen wären nicht eingetrocknet, dann könnte ich sie jetzt zumachen.«
    Tobbs ließ das Fell zu Boden fallen. Ein Huf polterte auf den Dielen und lag dann still. Mit zitternden Händen holte Tobbs die Silberkugel aus der Hosentasche. In der Stille seines Zimmers hörte sich seine eigene Stimme fiepsig und verzagt an.
    »Ja, der Mancor wurde erschossen«, sagte er zu der Göttin. »Von einem Bewohner Gwinnydells. Es war ein Unfall. Wir fanden nur noch das Fell im Gebüsch.«
    Zum ersten Mal in seinem Leben log Tobbs jemanden an – und das musste ausgerechnet Kali sein, die Zerstörerin. Aber vielleicht war das so, wenn man dreizehn war und gerade noch einmal mit dem Leben davongekommen war. Man entschied selbst, was man sagte und was nicht. Man entschied sich zum Beispiel, alles dafür zu tun, um jemanden wie Pritam zu retten.
    Kali erhob sich, oder vielleicht sah es nur so aus, auf jeden Fall dehnte sich die Dunkelheit um sie aus und wuchs zu einer Säule aus Zorn und kaum gebändigter Kraft.
    »Es tut mir leid«, flüsterte Tobbs. »Auch das mit deinem Streitwagen. Ich werde arbeiten, um ihn zu ersetzen und …«
    Die flache Seite von Kalis Schwert traf ihn mit voller Wucht. Eis und Feuer wurden zu einem unglaublichen Schmerz, der durch seinen Arm zuckte, und schon flog Tobbs gegen die Wand. Ein Regal brach herunter. Es war mörderisches Glück, dass es ihn nicht erschlug.
    Und dann wurde Tobbs Zeuge der vollständigen Vernichtung seines bisherigen Lebens. Kalis Schwert blitzte, während sie mit grausamer Präzision alles kurz und klein schlug, was Tobbs je etwas bedeutet hatte.
    Die Holzfiguren barsten unter dem Schwert. Kali wusste offenbar, wie sie mitten ins Herz traf. Durch einen Tränenschleier sah Tobbs das Werk von vielen Jahren sterben. Putz und Steinbrocken regneten auf ihn herunter, Dachschindeln zerplatzten neben und vor ihm und der Qualm im Raum erstickte ihn beinahe. Es war das Ende. Ein Schlag traf ihn am Kopf und Tobbs war beinahe froh, endlich das Bewusstsein zu verlieren.
    Als er nach einer Sekunde oder vielleicht nach einem Jahr vorsichtig blinzelte, blendete ihn die Sonne. Dort, wo das Dach gewesen war, sah er nun den Himmel. Rauchende Trümmer ließen bestenfalls vermuten, wo sich bis vor einer Minute noch seine Ofenbank und das Zimmer befunden hatte. Sein Zuhause war fort.

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