Die verbotene Pforte
Wahl!«
Als weit jenseits des Waldes endlich das Dorf in Sicht kam, fühlten sich Tobbs’ Knochen an wie Würfel in einem Becher. Im Grunde bestand das Dorf nur aus einem Dutzend Blockhäusern und einem großen, gemauerten Gebäude in der Mitte, auf dessen steilem Dach ein hölzerner Hahn thronte. Wanja zügelte Rubin und wandte sich zu Tobbs um.
»Wenn wir in das Dorf reiten, werden die Leute uns genauestens beobachten. Ich war lange nicht mehr hier und es ist besser, wenn man nicht viel über mich weiß. Und über dich schon gar nicht. Ich werde sagen, du bist der Sohn meiner Schwester Nata und heißt Lodor. Verstanden?«
Tobbs nickte. »Kein Problem.«
Wanja musterte ihn zweifelnd. »Es ist wichtig, dass du kein Wort sagst, kein einziges, verstanden? Schaffst du das?«
»Also hör mal!«, empörte sich Tobbs. Wanja seufzte und gab Rubin einen kleinen Schubs mit den Fersen. Das rote Pferd trabte los.
Kein Mensch war zu sehen, als Wanja über die verschneite Hauptstraße ritt und auf das steinerne Haus zuhielt. Nur der hölzerne Hahn knarrte im Wind.
Tobbs sah sich verstohlen um, aber es war tatsächlich wie in einer Geisterstadt. Nur hier und da bewegte sich ein Vorhang. Unsichtbare Blicke kribbelten in seinem Nacken. Mit weichen Knien glitt er vom Pferderücken und machte, dass er sofort aus der Reichweite der scharfkantigen Hufe kam.
Wanja war bereits vorausgegangen und stieß die Tür mit ihrem starken Arm auf. Das Holz ächzte und gab gehorsam nach.
Ein beißender Geruch nach Bier, rußigem Feuer und fettigen Schaffellen waberte Tobbs entgegen. Er beeilte sich, hinter Wanja über die Schwelle zu treten, und sah nach den endlosen leuchtenden Schnee-Ebenen erst einmal gar nichts. Ungläubiges Gemurmel und vereinzelte Rufe erklangen. Tobbs blinzelte und konnte etwa zwanzig Gestalten ausmachen, die an schmalen Holztischen saßen. Einige Frauen schälten Kartoffeln. Fünf graue Katzen lagen auf der Ofenbank und blickten mit glühenden Augen den unerwarteten Gästen entgegen.
»Iwan!«, rief eine weißhaarige Frau. »Da hol mich doch der Teufel – ich hätte schwören können, du hast uns längst vergessen!«
»Hallo, Lameta!«, gab Wanja mit einer erstaunlich tiefen Stimme zurück. »Und ich hätte schwören können, Baba Jaga hätte dich längst gefressen!«
Tobbs stutzte. Wanja wurde als Iwan angesprochen! Waren die Leute hier blind? Er blieb an der Tür stehen und beobachtete die Runde. Überraschte Gesichter verzogen sich zu zahnlosem Grinsen. Frauen sprangen auf und begrüßten Wanja wie einen alten Freund.
»Helka, sieh ihn dir an – du erinnerst dich doch noch an den kleinen Iwan? Ist vor fünfzehn Jahren in die Hauptstadt gegangen.«
»Und bei allen Geistern – feine Pelze und Stoffe trägt er. Hast dein Glück am Hof gemacht, nicht wahr, Iwan?«
Wanja lachte. »Zumindest reicht es, um euch einen Becher Engelstränen auszugeben!«, rief sie und nahm am Tisch Platz. Es gab ein großes Hallo, dann wurde ein Holzkrug gebracht, der randvoll mit einem nach Himbeeren duftenden Getränk gefüllt war. »Und ich habe euch sogar einen Gast aus der Hauptstadt mitgebracht«, meinte Wanja nun und deutete zur Tür. »Ihr kennt ja noch meine kleine Schwester – nun, das ist Lodor, ihr Sohn. Leider stumm, aber dafür ein anständiger Schmiedegeselle. Wirklich anständig.«
Zwanzig Augenpaare starrten Tobbs an. Er wurde rot und versuchte sich mehr schlecht als recht an einem Lächeln. Im nächsten Augenblick hatten die Leute ihn schon umringt. Die Frauen umarmten ihn überschwänglich und kniffen ihn in die Wange.
»Nein, sieh mal – er sieht genauso aus wie Nata! Das sind ihre braunen Augen.«
Diese Aussage verunsicherte Tobbs mehr, als er zugeben wollte. Kam er am Ende vielleicht aus Rusanien? War es das, was Wanja und Dopoulos vor ihm verheimlichten? Der Wirt hatte ihm vor einiger Zeit erzählt, seine Eltern hätten rote Kleidung getragen und stammten aus einem Land, aus dem keine Tür in die Taverne führte, aber wer sagte, dass das nicht auch nur eine Ausflucht gewesen war, um Tobbs abzulenken? Rote Kleidung trugen die Frauen hier auch!
»Gebt ihm was zu trinken! Er ist ja ganz blass!«
Jemand drückte ihm schwungvoll einen geschnitzten Holzbecher in die Hand und forderte ihn auf, damit anzustoßen. Wanja nickte ihm aufmunternd zu und er kippte den ganzen Inhalt des Bechers in einem Zug hinunter. Himbeerduft und Höllenschärfe löschten für einige Augenblicke alle Gedanken aus, Tränen
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