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0943 - Herren aus der Tiefe

0943 - Herren aus der Tiefe

Titel: 0943 - Herren aus der Tiefe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Simon Borner
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» Es wäre unsinnig, einen Detektivroman in New York City anzusiedeln. Ganz New York City ist ein Detektivroman.«
    Agatha Christie
    Kapitel 1 - Flammen in der Dunkelheit
    Shawn gähnte, fuhr sich mit der Hand über das Gesicht und sah sich um. Niemand da. Sein Blick schweifte über leere Sitzreihen, blieb kurz an den flackernden Neonröhren an der Waggondecke hängen und glitt dann zu den Fenstern, vor denen der pechschwarze Untergrund des Big Apples in rasender Geschwindigkeit vorbeizog. Leere Bierdosen, zerknautschte Zigarettenschachteln und anderer Unrat kullerten über den Boden des ansonsten menschenleeren Großraumabteils. Die Bahn ruckelte, fuhr gleichmäßig dahin und ratterte ihren eintönigen Schienenblues, die einlullende Sinfonie der Nacht.
    Es war nicht gerade eine günstige Zeit für eine solche Fahrt. Die Linie A wurde so spät am Tag kaum noch frequentiert; von wenigen Nachteulen abgesehen befand sich in dieser Gegend niemand mehr auf den Beinen. Und die New Yorker wussten, warum: Es war nicht sicher hier. Das war es nie gewesen und würde es nie werden - ganz egal, welche Präventivmaßnahmen sich die weltfremden Spaßvögel in City Hall und dem Police HQ als nächstes ausdachten. New York City war und blieb ein Moloch, Metropole des Verbrechens. Shawn lebte lange genug in ihr, um das zu wissen. Sein Körper und seine Seele trugen Narben, die es bezeugten.
    Hättest du besser mal ein Taxi genommen…
    Nervös blickte er sich um. Es war dumm gewesen, die paar Dollar sparen und mit der U-Bahn fahren zu wollen.
    Daran bestand kein Zweifel. Was nützte ihm sein Geld, wenn er hier unten überfallen oder ausgeraubt wurde? Wenn ihm gar Schlimmeres widerfuhr? Wo keine Zeugen, da keine Helfer.
    Er sah zur Uhr. Vielleicht zwanzig Minuten noch. Der Weg von Washington Heights zu seinem winzigen Apartment in Downtown Manhattan war nicht weit, aber in Situationen wie dieser wurde er zur Ewigkeit.
    »Amsterdam Avenue. Umsteigen in die Linien…«
    Die so plötzlich erklungene Stimme des automatischen Ansagers quäkte aus den Lautsprechern über seinem Sitz und ließ Shawn zusammenzucken. Erst jetzt bemerkte er, dass der Zug in einem Bahnhof gehalten hatte. Amsterdam? Das musste die Station an der Ecke zur 163. Straße sein. Hatte sich was mit zwanzig Minuten - mindestens eine halbe Stunde Fahrtzeit stand noch aus! Scheiße.
    Kurz bevor sich die Abteiltüren wieder schlossen, hechtete ein Mann in den Waggon. Shawn hatte ihn am leeren Bahnsteig gar nicht bemerkt. Er war weiß, vielleicht sechzig Jahre alt, hatte kurzes grau meliertes Haar und trug einen dunklen Anzug, der nach Reichtum aussah. An seinem rechten Handgelenk glitzerte etwas, das nur eine Rolex sein konnte.
    Shawn runzelte die Stirn und beobachtete ihn, während der Zug wieder Fahrt aufnahm. Was machte denn so ein Schnösel hier, um diese Zeit und so weit weg von der sicheren Umgebung der unteren Fifth Avenue, in die er augenscheinlich gehörte? War der lebensmüde?
    Tatsächlich wirkte der Typ sehr nervös. Keuchend stand er da, als sei er mehrere Blocks hergerannt. Geflohen? Ständig sah er sich im Waggon um, wie wenn er auf jemanden wartete, dem er lieber nicht begegnen wollte. Auf seinen Wangen prangten rote Flecken, Zeichen für eine schlechte Durchblutung. Schweiß ließ seine Stirn im Neonlicht funkeln.
    Er sah krank aus, fand Shawn. Krank und… panisch!
    »Mister?« Eigentlich widersprach es jeglicher NYC-Etikette, wildfremde Menschen anzusprechen, aber irgendwie ahnte Shawn, dass dieser Typ jede Hilfe brauchen konnte, die er fand. »Mister, sind Sie okay? Brauchen Sie einen Arzt oder so?« Bei der letzten Frage öffnete er den Reißverschluss seiner dünnen Sportjacke und ließ den Pflegerkittel erkennen, den er darunter trug.
    Der Fremde beachtete ihn nicht.
    »Sir? Ich will mich nicht aufdrängen, aber…« Shawn sah sich um. Wo waren die Scheiß-Fahrkartenkontrolleure mit ihren Funkgeräten, wenn man sie wirklich mal brauchte? »Ich bin Medizinstudent. Ich kann Ihnen helfen.«
    Diesmal reagierte der Schnösel. Sein Kopf fuhr herum, und der Blick, den er Shawn im trübe flackernden Neonlicht zuwarf, ließ diesen erschaudern. Bilder von Rehen im Scheinwerferlicht kamen Shawn in den Sinn, von Kühen im Schlachthof…
    »Rennen Sie!«, presste der Fremde zischend zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor. »Hauen Sie ab!«
    Plötzlich schlug seine Haut Wellen! Dicke Blasen entstanden, als bohre sich in seinem Inneren etwas einen Weg nach

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