Die verbotene Pforte
Landschaft geschleift hat?«
»Anguana«, flüsterte Tobbs und hustete gleich darauf eine kleine Napfmuschel aus.
»Wer ist Anguana?«, fragte Maui.
Wanja wurde blass.
»Sag, dass es nicht wahr ist!«, zischte sie und schüttelte Tobbs, bis seine Zähne wie Kastagnetten klapperten. »Sag, dass sie nicht hier in Tajumeer ist!«
»Ich sage dir überhaupt nichts mehr!«, fauchte Tobbs zurück. Überrascht ließ Wanja ihn los. Tobbs sprang hoch und begann den Faden einzuholen. »Sie ist im Wasser!«, rief er verzweifelt. »Sie ist in die Lagune der Haigötter getaucht, aber irgendetwas ist schiefgelaufen. Und jetzt ist sie da unten! Maui, Wanja, ihr müsst mir helfen!«
»Die Lagune der Haigötter?«, fragte Maui leise.
Wanja hatte bereits Tobbs’ Handgelenk mit ihrer kräftigen Hand umfasst. »Ist das Anguanas Faden?«
Tobbs nickte atemlos. Der Faden straffte sich.
»Was für ein Faden?«, fragte Maui. »Ich sehe nur eine ziemlich geschwollene Hand.«
»Erkläre ich dir später«, zischte Wanja. »Tobbs, lass mich das machen! Du schaffst das nicht allein.« Sie wickelte sich ein Stück Stoff von ihrem Tuch um die Hand, bevor sie zu ziehen begann. Tobbs half ihr mit aller Kraft, musste aber bald aufgeben, Wanja stemmte ihre Fersen in den scharfkantigen Untergrund und holte den Faden Handbreit über Handbreit ein. Schweiß lief ihr über das Gesicht.
Tobbs beugte sich über das Wasser.
Bitte, flehte er Kali und alle anderen Götter an. Lass Anguana nicht tot sein!
Endlich tauchte eine Wolke unter der Wasseroberfläche auf. Giftgrün verfärbtes Wasser schwappte gegen die Insel und verpasste auch dem kleinen Holzboot, in dem Maui und Wanja vermutlich zu Tobbs herübergerudert waren, einen wellenförmigen Anstrich. Aus den Augenwinkeln sah Tobbs, wie sich eine Schildkröte auf die Insel rettete und zu Maui kroch. Er legte ihr die Hand auf den Panzer.
»Da … kommt etwas hoch!«, keuchte Wanja. Sie fluchte und stemmte sich so stark gegen den Faden, dass der Untergrund unter ihren Füßen zu bröckeln begann.
Das Meer brodelte. Dann ploppte ein schlauchartiges weißes Ding aus dem Wasser, dann noch eins und noch eins. Etwas, das aussah wie ein umgekipptes, helles Boot, trieb an die Oberfläche und ein tellergroßes grünes Auge glotzte Tobbs an.
Ihm wurde eiskalt.
»Das Monster hat Anguana gefressen!«, schrie er. Er beugte sich über den Kadaver, packte ein totes Tentakel und zerrte daran. Der Krake trieb schlaff im Wasser wie eine Gummimarionette, gehalten nur von einem einzigen Faden.
»Maui, steh nicht herum, hilf uns!«, rief Wanja. Der Vermittler sah nicht so aus, als hielte er das für eine gute Idee, aber schließlich sprang er doch herbei. Sie packten jeder ein Oktopustentakel und zerrten mit einer gewaltigen Kraftanstrengung zumindest einen Teil des toten Körpers auf einen Felsen. Wanja zog die Axt aus ihrem Gurt und warf sie Tobbs zu.
Maui ergriff ihre Hand. »Nein, besser nicht schneiden!«, rief er sichtlich nervös. »Das ist einer der … besonderen Kraken!«
Wanja schüttelte ihn wütend ab. »Und wie sollen wir sie sonst da rausbekommen, Herr Diplomat?«, fuhr sie ihn mit blitzenden Augen an. Ohne seine Antwort abzuwarten, warf sie sich auf den schleimigen Haufen wie ein Ringer auf einen Gegner. »Hier, Tobbs! Da ist eine Beule. Schneide drum herum! Aber sei vorsichtig!«
Das brauchte sie Tobbs nicht zweimal zu sagen. Obwohl seine Hände zitterten, setzte er die Schneide der Axt behutsam an und schnitt damit in die ledrig glitschige Oberfläche. Es war nicht einfach, sich durch das zähe Fleisch zu arbeiten. Grüne Tinte klebte an Tobbs’ Händen, es roch nach Fischmarkt und Verzweiflung. Endlich klaffte ein Spalt auf und Tobbs konnte ein weiteres Stück Krakenhaut durchtrennen.
»Oje«, sagte Maui. »Das wird uns richtig teuer zu stehen kommen.«
Tobbs stürzte sich auf die glibberige Masse und bekam eine Schulter zu fassen. Und Haar!
»Ich … hab … sie«, keuchte er. Mit aller Kraft umklammerte er das Ziegenmädchen und zog sie aus dem Tintenfisch. Zusammen fielen sie auf den Inselboden.
Anguana war grün im Gesicht und hatte die Augen geschlossen.
»Lebt sie?« Wanja packte das nasse, verschnürte Bündel, das Anguana mit beiden Armen umklammert hielt, und drückte es Tobbs in die Hand. Dann legte sie das Ohr an Anguanas Brust und horchte. Erst jetzt fiel Tobbs auf, dass das Mädchen nur noch ein Unterhemd trug. Es war nicht so lang wie ihr blaues Kleid und zeigte in
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