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Die verbotene Pforte

Die verbotene Pforte

Titel: Die verbotene Pforte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nina Blazon
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und erhaschte einen Blick auf eine fein gekleidete Dame, die sich eben nach vorne beugte, um aus dem Wagen zu schauen. Als sie Anguana entdeckte, hob sie die Hand. Die Pferde schnaubten, schlitterten, warfen die Köpfe zurück und kamen so abrupt zum Stehen, als hätten unsichtbare Zügel sie mit aller Kraft gestoppt.
    Anguana und Tobbs wichen zurück, als die knarzende Kutschentür aufschwang. Tobbs schielte zur Seite nach einem Fluchtweg, aber das nächste Waldstück war ziemlich weit entfernt. Die Dame trug ein Gewand aus blassblauer Seide, das im Halbdunkel der Kutsche wie der Mond leuchtete.
    Ihr Gesicht war kalkweiß geschminkt und wirkte freundlich, nur ihre Augen hatten etwas Reptilienartiges. Das lag wohl an den fehlenden Augenlidern. Ihr blauschwarzes Haar war zu einer kunstvollen Frisur hochgesteckt. Tobbs gönnte die Frau keinen Blick, aber Anguana schenkte sie ein umso herzlicheres Lächeln.
    »Es ist gefährlich, in dieser Gegend noch so spät unterwegs zu sein«, sagte sie mit einer Stimme, die wie ein sanftes, melodisches Zischen klang. »Die Stunde der Tanukis bricht bald an und auch die Himmelhunde machen sich bereit zur Jagd. Du willst nach Katuro?«
    Das bestätigte Tobbs’ Vermutung, dass die Frau ausschließlich zu Anguana sprach.
    Anguana nickte und versuchte sich an einem Lächeln.
    »Danke für die Warnung, edle Dame«, sagte sie höflich und deutete einen Knicks an. »Wir werden uns beeilen.«
    Die Dame lachte und enthüllte dabei eine Reihe schwarz eingefärbter Zähne. Dieser Anblick war alles andere als beruhigend. Tobbs war plötzlich mulmig zumute. Stammte er wirklich von hier? Sah seine Mutter vielleicht so aus wie diese Frau? Die Vorstellung gefiel ihm überhaupt nicht.
    »Ach, meine Schöne, und wenn du den ganzen Weg rennen würdest, du kämst doch nicht vor Anbruch der Dunkelheit dort an«, meinte die Dame amüsiert. »Die Wege in Doman täuschen fremde Wanderer nur zu gerne. Deine Augen haben die Farbe von hellem Wasser – sehr, sehr selten in Doman. Bist du eine Nixe?«
    Tobbs spürte, wie Anguana zusammenzuckte.
    »Nicht … direkt«, sagte sie zögernd. »Nur um ein paar Ecken mit ihnen verwandt.«
    »Steig ein!«, rief die Dame. »Freunde des Wassers sind auch meine Freunde. Ich nehme dich mit bis nach Katuro. Zufällig bin ich nämlich auch auf dem Weg dorthin.«
    Anguana und Tobbs wechselten einen zweifelnden Blick. Trägt dieser Wagen drei Leute? Tobbs stellte sich vor, wie sie mitten im schnellsten Galopp in einem Haufen von Holztrümmern begraben wurden. Andererseits war es tatsächlich erstaunlich schnell dunkel geworden. Irgendwo in der Ferne heulte ein Tier. Zumindest hoffte Tobbs, dass es nur ein Tier war.
    Sollen wir?, bedeutete Anguana ihm mit einer Geste.
    Tobbs tastete nach seiner Axt und nickte kurz entschlossen.
    »Also gut«, sagte Anguana laut. »Die Einladung nehme ich gerne an – aber nur, wenn mein Begleiter auch einsteigen darf.«
    Zum ersten Mal fiel der Reptilienblick auf Tobbs. Wenn Blicke sprechen konnten, dann sagte dieser ihm ganz eindeutig, dass er ein hässliches Häufchen Lehm war, nicht wert, einen Schuhabdruck darin zu hinterlassen.
    »Wenn du unbedingt willst …«, sagte die Dame so angewidert, als hätte Anguana sie gerade darum gebeten, einen Topf voll Schneckenschleim auf dem Sitz auskippen zu dürfen.
    Es kostete Tobbs mehr Mut, in das fahrende Wrack zu steigen, als durch den magischen Wald zu gehen. Auf einen herrischen Wink der Dame setzten sich die Pferde in Bewegung. Mit einem knarzenden Ruck fuhr der Karren an. Nägel begannen im schlingernden Holz zu quietschen und zu wimmern. Über ihren Köpfen ächzte das Dach. Tobbs zog unwillkürlich den Kopf ein.
    Auf dem abschüssigen Weg ins Tal gewann die Kutsche schnell an Fahrt. Die Landschaft zog am Fenster vorbei, erst im Trab, dann immer schneller. Hufe trappelten ein beeindruckendes Schlagzeugsolo auf den Holzweg. Tobbs und Anguana wurden hin und her geworfen. Tobbs klammerte sich an den Knauf der Kutschentür – und hielt ihn gleich darauf in der Hand. Die Dame strafte ihn mit einem Blick abgrundtiefer Verachtung. Ihr Gewand wallte wie Wasser, und Tobbs bildete sich ein, in der Kutsche das Rauschen von Wellen zu hören.
    »Was meintest du mit der ›Stunde der Tanukis‹?«, rief Anguana gegen den Kutschlärm an.
    »Das weißt du nicht?«, sagte die Dame und verbarg ihr Lachen hinter einer weißen Hand. »Die Tanukis sind die Herrscher der Geisterwälder! Ihnen gehört die

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