Die verbotene Reise: Die Geschichte einer abenteuerlichen Flucht - Ein SPIEGEL-Buch (German Edition)
Spreewald, sein Grundstück ist von Bäumen und Wasserläufen umgeben. Wenn er im Garten sitzt, kann er Vögel beobachten. Er liebt es noch immer, ihre Stimmen zu imitieren, sie anzulocken, ihr Gefieder zu beschreiben.
Die Natur ist seine große Leidenschaft, so wie damals, als er in Ost-Berlin Biologie studierte. Heute schreibt Jens als selbständiger Biologe Gutachten über Naturschutzprojekte. Marie hat er seit zwanzig Jahren nicht mehr gesehen, die Erinnerungen an ihre verbotene Reise aber, zusammen mit seinen Fotos aus jener Zeit, gehütet wie einen Schatz. Es waren auch seine Kinder, die nun wissen wollten, was damals geschah. Wenn du etwas willst, probier es mit aller Kraft , sagt er ihnen. An jeder Weggabelung musst du dich neu entscheiden, ob links oder rechts, ist im Nachhinein egal – solange du nur glaubst, dass du das Ziel erreichst.
Und Marie? Sie sitzt in ihrem alten Dorfhaus, es liegt von Weiden und Wiesen umgeben im Fläming, einer einsamen Landschaft im südlichen Brandenburg. Die Liebe zur Natur hat sie sich, wie Jens, bewahrt. Sie hält Schafe und betreibt eine Filzwerkstatt.
Es war wie eine Expedition , meint sie im Rückblick. Besonders fasziniert hatte sie das Leben in der Jurte, die Ruhe, der Gleichklang ihrer mongolischen Gastgeber. Ich hätte noch ewig lange bleiben können , sagt sie heute.
An einem Herbsttag treffen sie sich zum ersten Mal nach zwei Jahrzehnten im Spreewaldhaus von Jens wieder. Jens hat immer noch seinen Abenteurerblick, nur der Bart ist abrasiert. Marie lacht so unbekümmert wie einst in Ost-Berliner Studententagen. Sie sind etwas aufgeregt.
Alte Fotos liegen auf dem Küchentisch, schnell kommt das Gespräch auf die Mongolen und deren Jurten, auf Zugvögel und auf ihre verbotene Reise.
Nach solchen Erfahrungen kommt man mit allem klar , sagt Marie, ich würde es sofort wieder tun.
Dank
Die Geschichte der »Verbotenen Reise« wäre beinahe nicht erzählt worden. Es war ein Zufall, dass ich am Rande eines Gesprächs vage davon hörte.
Als Jens und ich uns zum ersten Mal in seinem Haus trafen, erzählte er mehr als fünf Stunden lang. Seine Kinder hörten gebannt zu.
Schnell war klar, dass er die verbotene Reise mit seiner damaligen Freundin gemacht hatte, die er aus den Augen verloren hatte. Er wusste nicht mehr, wo sie lebte.
Doch Marie war bald gefunden. Sie erinnerte sich gern an alles. Während meiner Gespräche mit ihr ging sie immer wieder mal auf den Dachboden, um nach Fotos, Briefen, ihren alten Zeichnungen, dem verschollenem Tagebuch oder anderen Dokumenten zu suchen.
Die Erinnerungen brachten bei beiden etwas in Bewegung. Mal besuchte ich Jens, mal Marie, jeder erzählte immer wieder Neues, unabhängig voneinander, ohne zu wissen, was der andere schon erzählt hatte.
Jens suchte und fand in seinem Schuppen und Kellern den sorgsam gehüteten Schatz: dreitausend unveröffentlichte Farbdias, meist in der Mongolei und China aufgenommen. Landschaften, Städte, Märkte, Menschen – kaum ein anderer dürfte im China der achtziger Jahre derart viele Fotos im Format 6 x 6 gemacht haben.
Bei einem der Treffen im Spreewald improvisierte Jens mit seinem alten Projektor in der Wohnküche der Familie eine Diaschau. Seine älteste Tochter blieb bis tief in die Nacht dabei.
In den Tüten, Schachteln und Kästen gab es allerdings kaum Bilder von Jens gemeinsam mit Marie. Die beiden fanden sich damals einfach nicht so wichtig und hatten sich selbst kaum fotografiert.
Beide waren damit einverstanden, dass ich nach Akten über sie bei der Stasi-Unterlagenbehörde suchte. Immerhin hatten Jens und Marie ihre Stasi-Akten bis dahin nicht einmal selbst eingesehen.
Die Geschichte von Marie und Jens hat mich persönlich besonders interessiert, weil ich durch meine Zeit als West-Korrespondent in der DDR Anfang der achtziger Jahre die Rykestraße und die Gegend um den alten Wasserturm, wo Marie und Jens damals gewohnt hatten, selbst gut kannte. Dort hatte auch ich jahrelang meine Freunde und Bekannten aus der Ost-Berliner Jugendszene in ihren Wohnungen getroffen: Stefan, Mike, Harald, Jule, Ev …
DIESES BUCH basiert vor allem auf stundenlangen Interviews und Gesprächen mit Jens und Marie, mit ihren Eltern und Freunden. Aber auch auf den Briefen, Fotos, Notizen und angefangenen Tagebuchseiten, die Marie in den Kisten und Schachteln auf ihrem Dachboden fand. Dafür, vor allem auch für die Überlassung der Fotos, danke ich beiden sehr herzlich.
Das Buch ist eine
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