Die verbotene Reise: Die Geschichte einer abenteuerlichen Flucht - Ein SPIEGEL-Buch (German Edition)
befragen.
Doch die Mitarbeiter konnten nichts in Erfahrung bringen, weil sie die beiden nicht antrafen. Offensichtlich etwas entnervt aufgrund fehlender Erkenntnisse, kamen sie Ende Januar 1988 kurzerhand in die Rykestraße 5 und durchsuchten die Wohnung. Sie hofften, das Adressbuch von Jens zu finden, doch sie fanden auch hier nichts, was sie weitergebracht hätte. So beschlossen sie, Marie zu vernehmen, die am Tag der Durchsuchung zufällig nicht in Berlin war.
Erst Anfang März wurde sie ausführlich befragt. In der Zwischenzeit hatte sie in Budapest ein kurzes heimliches Treffen mit Jens. Das war der Stasi entgangen.
Sie streiften für ein paar Tage durch Budapest, sahen sich die Stadt an und genossen die Nähe, die sie so lange vermisst hatten. Jens erzählte von seinem neuen Leben und seinen Plänen im Westen. Beide waren glücklich, sich wiederzusehen, Marie spürte auf der Rückreise aber ein seltsames Gefühl, wenn sie an die Zukunft dachte.
Ein weiterer Versuch, sich in Prag zu treffen, scheiterte an der Grenze. Marie durfte das Land nicht mehr verlassen, sie unterlag einer Ausreisesperre.
Auf die Fragen der Stasi-Offiziere bei ihrer Vernehmung antwortete sie ausweichend. Sie erzählte ihnen, dass sie sich mit Jens gestritten habe, so sehr, dass sie alleine zurückgefahren sei und daher nichts mehr über seinen Verbleib erzählen könne. Die beiden Herren boten ihr an, in ihrem Auftrag mit Jens im Westen Kontakt aufzunehmen, um ihn zurückzuführen . Marie gab vor, ihre Verbindung zu Jens sei ein abgeschlossener Lebensabschnitt . Weder er noch sie glaubten daran, dass man straffrei in die DDR zurückkehren könne. So endete das Gespräch.
Insgesamt wurde deutlich, dass die Freundin kein großes Interesse daran hat , schrieben die Vernehmer frustriert ins Protokoll, das Ministerium für Staatssicherheit zu unterstützen. Sie war bestrebt, nur auf Fragen zu antworten und nichts von sich aus zu erzählen.
Ein zweites Verhör folgte, doch es blieb für die Stasi ebenso unerquicklich. Marie blieb dabei, dass sie nicht wisse, wo Jens abgeblieben sei. Aufmerksam bemerkten die Offiziere diesmal im Protokoll, dass sie bei Äußerungen über das Zusammenleben mit Jens trotz der angeblichen Unstimmigkeiten auf der Reise noch eine starke emotionale Bindung zeige. Auch die Vernehmung von Conny, der Freundin Maries, im Juni 1988 brachte die Stasi nicht weiter.
Einen Monat später standen ein letztes Mal zwei Stasi-Herren vor Maries Wohnungstür. Sie hatten Kontakt zum russischen KGB und der wiederum zur Staatssicherheit der Mongolei aufgenommen, um endlich herauszubekommen, wann die beiden in Ulan Bator waren und welchen Zug Marie auf dem Rückweg genommen hatte. Eine ganze Stasi-Abteilung konzentrierte sich seit Monaten auf die Frage, wie die beiden es schaffen konnten, unbemerkt alle Grenzen zu passieren.
Die Herren triumphierten nun mit ihrem Faktenwissen: Sie wüssten genau, dass die junge Kunststudentin in China gewesen sei. Na und, antwortete Marie, sie sei ja schließlich wieder zurückgekommen. Die beiden Offiziere wussten darauf nicht so recht zu antworten, hielten ihr aber vor, dann habe sie doch noch den erschlichenen Reisepass , mit dem sie womöglich immer noch das Land illegal verlassen könnte. Marie erzählte ihnen, dass sie ihn verbrannt habe. Die Offiziere nahmen ihr ein noch nicht benutztes Visum für Ungarn ab, um einen erneuten Versuch, Jens zu treffen, zu unterbinden. Als grotesk korrekt empfand Marie es, dass ihr einer der Herren die im Reisebüro bereits bezahlten fünfzehn Mark für das Visum aus seiner eigenen Geldbörse erstattete und dafür sogar noch eine ordentliche Quittung ausstellte.
Intern vermerkte die Stasi, dass sie leider keine Handhabe sehe, Maries Exmatrikulation zu erreichen. Allerdings könnte man ihr den Personalausweis entziehen und durch einen PM12 -Ausweis ersetzen, mit dem sie die DDR dann in keine Richtung mehr verlassen könne. Doch dies geschah nicht mehr. Marie beendete im Herbst 1988 das Studium – und die Stasi ihre Vernehmungen. Die Offiziere schlossen die Akte Ende 1988 ab.
Kaum ein Jahr später fiel die Mauer. Marie und Jens trafen sich nur noch wenige Male. Einmal besuchten sie in West-Berlin gemeinsam eine Mongolei-Ausstellung. Danach trennten sich ihre Wege. Beide hatten andere Partner gefunden, beide verließen Berlin und zogen mit ihren Familien in die Natur. Ihr Kontakt verlor sich.
FÜNFUNDZWANZIG JAHRE später. Jens lebt in seinem Haus im
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