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Die Verbrechen von Frankfurt. Frevlerhand

Die Verbrechen von Frankfurt. Frevlerhand

Titel: Die Verbrechen von Frankfurt. Frevlerhand Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ines Thorn
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sie ihr über die Wangen rollten, hatte sie sie schon mit der Schürze abgetupft.
    «Ich bin alt», erkannte sie. «Die Blüte meines Lebens liegt hinter mir. Ich war verheiratet, habe ein Kind geboren, nun bin ich Witwe und Großmutter. Das heißt doch aber noch lange nicht, dass ich keine Frau mehr bin. Ich habe noch Bedürfnisse, sehne mich nach einem, der mich in den Arm nimmt und nachts mein Bett wärmt. Ist das Sünde? Ist das Schamlosigkeit? Darf sich eine Frau in meinem Alter nicht mehr nach der Liebe sehnen? Ich bin doch ein anständiges Weib, bin es immer gewesen. Nicht zu vergleichen mit den drei Dirnen da draußen.» Für einen Augenblick schloss sie die Augen und stellte sich vor, wie sie den Prediger auf dem Römerberg geküsst hätte. Sie konnte seine Hand auf ihrem Rücken spüren und richtete sich kerzengerade auf. Sie fühlte seine Lippen auf ihrem Mund, weich und warm und so sanft wie der Schlag eines Schmetterlingsflügels. Sie sah ihn vor sich: die dunklen Glutkirschenaugen, die gerade Nase, darunter der ausgeprägte Amorbogen. Das dunkle Haar, das er zum Zopf gebunden trug und das offen sicher bis auf seine Schultern reichen würde. Die breiten Schultern, gemacht dafür, ein Fass mit einem Mal zu stemmen, der breite Brustkorb mit viel Platz für einen Frauenkopf, die schmalen Hüften. Wie alt er wohl war, der Prediger? Um die vierzig Jahre herum? Nur ein wenig jünger als sie selbst? Oder doch viel jünger?
    Das Klappen der Tür oben riss sie aus ihren Gedanken. «Du bist eine Gans», schalt sie sich und stand auf. «Bist nicht besser als die dümmste Magd.»
    Sie nahm das nackte Huhn, schnitt quer in den Halsstumpf hinein, löste die Haut und nahm Kropf, Schlund und Gurgel heraus. Dann drehte sie das Huhn einmal von unten nach oben und schnitt auch den Afterring weg, den sie in den Eimer zu ihren Füßen warf. Vom After aus führte sie das Messer durch die Bauchhaut, bis sie auf den Knochen stieß. Anschließend löste sie vorsichtig von allen Seiten das Fett ab und konnte dabei einfach nicht verhindern, dass sie an die Fettschichten dachte, die sich im Laufe der Jahre um ihre Knochen herum gebildet hatten. Bin ich zu dick?, fragte sie sich und wühlte mit beiden Händen in dem Tier herum. Ich dachte immer, wahre Männer lieben es, wenn bei einer Frau ein bisschen Speck an den richtigen Stellen sitzt. Mein Mann – Gott hab ihn selig – sagte stets: Ich muss doch etwas zum Anpacken haben. Wenn sie sich aber jetzt die jungen Dinger, die jungen Mägde, besonders aber die jungen Patriziertöchter, anschaute, so sah sie nur Haut und Knochen. Kaum eine, die das Brusttuch so richtig ausfüllte. Und die Hinterteile, meine Güte, zu ihrer Zeit waren auch die prächtiger gewesen.
    Gustelies fasste mit Mittelfinger und Zeigefinger der rechten Hand in das Huhn hinein und zog vorsichtig den Magen mit den Därmen und der Leber heraus. Ihre Zungenspitze wanderte vor Aufmerksamkeit auf ihren Lippen herum, denn die Sache brauchte Fingerspitzengefühl. Wurde die Galle verletzt, so ergoss sich deren Inhalt in das Huhn, und es war bitter und verdorben. Danach löste sie die Därme vom Magen und überlegte, ob sie sie reinigen und für eine spätere kräftige Suppe aufheben sollte, doch dann warf sie die Innereien alle in den Abfalleimer und wusch das Huhn gründlich mit warmem Wasser aus. Ordentlich schnitt sie die gelben Füße über dem ersten Gelenk ab, drehte die Flügel auf den Rücken, steckte sie mit einem Holzstäbchen fest, tat dasselbe bei den Schenkeln, rieb das Huhn mit etwas Salz und Pfeffer ein und holte ein Stück Bauchspeck aus der Speisekammer. Sie spickte das Huhn, bepinselte es mit ausgelassenem Speck und legte es in einen großen, gusseisernen Bräter. Als das Huhn darin brutzelte, wusch sie sich die Hände, setzte sich an den Küchentisch und seufzte. Egal, was sie heute tat, ihre Stimmung wurde immer schlechter. Schon wieder und so ganz ohne Grund traten Gustelies die Tränen in die Augen. Sie dachte an ihren verstorbenen Mann, Hellas Vater, und an ihr gemeinsames Leben. Leicht war es nicht immer gewesen, denn Richter Kurzweg war ein strenger Mann gewesen, der sehr auf Anstand und Sitte geachtet hatte. Ein nachlässig gebundenes Brusttuch hatte ihn erzürnen können, eine lose Bemerkung, ein zu lautes Lachen. Trotzdem. Gustelies hatte ihn liebgehabt. Vielleicht nicht von Anfang an, denn er war ihr ausgesucht worden. Doch im Laufe der Jahre hatte sie verstanden, dass Richter Kurzweg ein

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