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Die Verbrechen von Frankfurt. Totenreich

Die Verbrechen von Frankfurt. Totenreich

Titel: Die Verbrechen von Frankfurt. Totenreich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ines Thorn
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Pater gehorchte, floss kein Wein in das Becken, sondern lange, blutige Haare. Im Traum schrie der Pater, und von seinem eigenen Schrei wachte er auf.
    Sofort wusste er wieder, was geschehen war. Der Skalp, dachte er, der Skalp liegt noch immer im Beichtstuhl. Er muss da weg. Auf der Stelle. Er schluckte, spürte, wie der saure Wein ihm in die Kehle stieg. Gern hätte er sich noch ein wenig Mut angetrunken, doch die Kanne lag leer am Boden. Also faltete der Pater die Hände, richtete seinen Blick auf den Gekreuzigten und flehte: «Herr Jesus Christus, steh mir bei. Gib mir die Kraft und die Stärke, das verfluchte Ding zu holen, und sage mir, wo ich es verstecken kann.»
    Die Glocken vom nahen Katharinenkloster schlugen die sechste Stunde. Schon bald würden die ersten Gläubigen zur Abendmesse erscheinen. Pater Nau musste sich sputen.
    Er verließ die Sakristei, die rechte Hand um einen Rosenkranz geklammert. Am Taufbecken angekommen, strich er sich ein wenig Weihwasser auf die Stirn und warf einen flehenden Blick auf den Gekreuzigten. Hilf mir, bat er dringlich. Der Herr sah milde auf ihn herab.
    Pater Nau begab sich mit zögernden Schritten zum Beichtstuhl. Vorsichtig öffnete er die Tür. Ihm war, als lauere der Teufel gerade dahinter.
    Die Kopfschwarte mit den langen, blonden, blutdurchtränkten Haaren lag noch immer so, wie er sie verlassen hatte. Pater Nau sah sich nach allen Seiten um. Noch war die Kirche leer.
    Er kniff die Augen zusammen, packte den Skalp bei den Haaren, schüttelte sich, dann zog er das Ding von der Sünderbank und eilte, den Arm ausgestreckt, als hielte er eine Pfanne mit kochendem Öl, zurück in die Sakristei.
    Kaum war die Tür hinter ihm ins Schloss gefallen, ließ er die Haare los. Sie fielen direkt unter den Tisch mit den Gerätschaften fürs Abendmahl. Von draußen waren Geräusche zu hören, und ihm fiel ein, dass er die Bürgersfrau Fernau als Strafe damit beauftragt hatte, den Altar mit Pflanzen zu schmücken. Er hatte gehofft, wenn die Fernauerin im Januar nach Blumen suchen musste, hätte sie weniger Zeit, ihre Nachbarin auszuspionieren und sie des Weinpanschens zu beschuldigen. Aber es schien so, als könne die Fernauerin an zwei Stellen gleichzeitig sein.
    «Pater? Pater Nau, seid Ihr da drinnen? Ich muss dringend mit Euch reden. Heute Morgen hat meine Nachbarin ein höchst seltsames Gespräch mit ihrer Magd geführt», hörte er sie rufen.
    «Ja», erwiderte der Pater mit einer Stimme, die er selbst nicht kannte. «Wartet, ich komme gleich zu Euch. Einen winzigen Augenblick noch. Richtet inzwischen den Altar her. Und seht zu, dass Ihr es mit der nötigen Andacht tut.»
    Seine Blicke huschten durch die Sakristei. Der Skalp musste weg. Sofort. Die Fernauerin brachte es fertig und stürmte hier herein, wenn sie den Altar gerichtet hatte.
    Aber wohin? Gustelies, die auch gleich kommen würde, um ihm beim Ankleiden zu helfen, kramte in jedem Schrank, in jeder Truhe. Und wenn sie erst einmal gefunden hatte, was er so eilig verbergen wollte, war das Beichtgeheimnis keinen Pfifferling mehr wert.
    Gustelies und das Beichtgeheimnis. Das waren zwei Dinge, die sich gegenseitig aufhoben. Selbst der Papst, das wusste Pater Nau, würde irgendwann reden, wenn Gustelies ihn einmal in der Mangel hatte. Seine Schwester war eine gute, gottesfürchtige Frau, doch ihre Neugier war unersättlich.
    Da fiel sein Blick auf die Truhe mit der Weihnachtskrippe. Dort hinein mit dem grausigen Ding, dachte er erleichtert. Weihnachten war schon ein paar Wochen her. Und ehe die Krippe das nächste Mal gebraucht würde, dauerte es Monate. Ja, in der Truhe war die Kopfschwarte einstweilen sicher.
    Der Pater packte den Skalp mit vor Ekel verzogenem Mund, öffnete die Truhe, nahm das Jesuskind aus der Futterkrippe und legte es Maria vor die Füße, dann stopfte er den Skalp in die Wiege des Jesuskindleins, packte ein paar Heureste darauf, verschloss die Truhe, ließ sich darauf fallen und atmete erleichtert auf.

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Kapitel 2
    H ella nahm die Teller vom Wandbord der Pfarrhausküche und verteilte sie auf dem Tisch, während Gustelies im Kupferkessel rührte und Heinz die Stiege nach oben zu Pater Naus Studierstube stieg. Er klopfte höflich, doch als von drinnen nichts zu hören war, öffnete er die Tür. Er sah den Pater mit gebeugtem Rücken an seinem Schreibpult stehen. «Zweites Buch der Makkabäer, Kapitel sieben, Vers sieben und acht», hörte er ihn murmeln.
    «Bernhard, das Essen ist

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