Die Verdammnis
Dinge, die auf dem Wasser trieben. Nicht alles davon schien pflanzlicher Herkunft zu sein - eine Erklärung für den fauligen, stechenden Gestank.
Seinen höllischen Durst stillten all diese Erkenntnisse allerdings nicht.
Wieder beugte Landru sich vor, flach atmend, und er versuchte zu ignorieren, was seine Augen sahen. Mit aller Macht wollte er sich einreden, es könnte doch Blut sein, was er hier zu trinken im Begriff war. Aber alles, was er damit in sich hervorrief, war - Ekel. Fast größer noch als jener, den er vor der stinkenden Brühe empfand.
Gerade als er, wie von fremdem Willen gezwungen, seine hohle Hand in den Tümpel tauchen wollte, zuckte Landru zurück!
Da war - ein Gesicht, das aus dem Wasser zu ihm heraufstarrte!
Angewidert, als ertrüge es Landrus Anblick nicht.
Sekunden verstrichen, ehe er dieses »andere« Gesicht als das seine erkannte.
Nach so vielen Jahrhunderten, in der alles Reflektierende blind für seinen Anblick gewesen war, konnte er sich nicht daran gewöhnen, plötzlich ein Spiegelbild oder auch nur einen Schatten zu werfen. Von letzterem hatte er sich auf seinem bisherigen Weg fast verfolgt gefühlt.
Seine Finger tauchten ein in dieses ewig fremde Gesicht, und kleine Wellen ließen es erst verschwimmen und schließlich verschwinden.
In seiner gewölbten Hand sah das Wasser nun nicht mehr ganz so schmutzig aus. Aber es war noch immer weit davon entfernt, appetitlich oder auch nur genießbar zu erscheinen. Landru schloß die Augen und ließ das Naß über seine Lippen rinnen.
Es schmeckte scheußlich. Wenn auch nicht so schlimm, wie er befürchtet hatte. Und es tat gut. Hand um Hand schöpfte Landru weiter, bis der Brand in ihm ein erträgliches Maß herabgesunken war.
Schließlich öffnete er die Lider wieder. Am Ufer des Tümpels verharrend, wartete er darauf, daß sich die Wasseroberfläche wieder beruhigte. Als sie glatt wie ein Spiegel dalag, benutzte Landru sie diesmal bewußt als solchen. Das eigene Gesicht betrachten zu können, entbehrte nicht eines gewissen Reizes für jemanden, der zeit seines Lebens nicht dazu in der Lage gewesen war.
Und während Landru sein Ebenbild im Wasser betrachtete, entwickelte er Verständnis für all jene, die während der Jahrhunderte vor seiner bloßen Präsenz erschauert waren. Oh, es lag nichts wirklich Bösartiges in den Zügen dieses Gesichtes - aber in jeder Linie und jeder Pore schien spürbare Bedrohlichkeit zu nisten, einem unheimlichen Gift gleich, dessen Ausdünstung allein schon gefährlich war. Und in den dunklen, beinahe schwarzen Augen lag etwas wie ein wortloses Versprechen - das Versprechen von Angst, der nur der Tod folgen würde.
Selbst jetzt, da Landru sich seines wahren Wesens beraubt fühlte, war dieses Gesicht noch eben jenes, vor dem für so lange Zeit ungezählte Menschen gezittert hatten.
Und nun, da Landru selbst es als fremd empfand, verspürte auch er eine Art absurder, aber unleugbar tiefgehender Ehrfurcht davor.
Als träfe ihn eine kühle Brise, so rieselte ihm ein leiser Schauer über den Rücken.
Und dann erstarrte er!
Aus den Augenwinkeln hatte er die Bewegung wahrgenommen, und als er jetzt hinsah, war sie kaum mehr auszumachen. Nur drüben am anderen Ufer schwangen dürre Zweige verkrüppelten Buschwerks nach, während andere - brachen!
Landru richtete sich auf.
Irgend etwas oder jemand floh dort vor ihm!
Wenn Landru wissen wollte, wohin es ihn verschlagen hatte und wo sein Ziel liegen konnte, würde ihm dieser Jemand dort Auskunft geben können. Oder müssen.
Wenn Landru seiner habhaft geworden war.
Er machte sich an die Verfolgung.
Aber er tat es nicht mit der kompromißlosen, sofortigen Entschlossenheit, die ihm einst zu eigen gewesen war.
Früher.
In einem anderen Leben ...
* Landrus Atem ging schwer, und das Blut begann in seinen Ohren wie ein reißender Fluß zu rauschen. Immer häufiger mußte er sich kurze Verschnaufpausen gönnen, doch stets blieb er nur so lange stehen, wie er das Brechen der Äste oder das Klacken von Steinen und bisweilen hastige Schritte auf dem Boden hören konnte.
Der oder die Fliehende schien wesentlich weniger Mühe mit dem Fortkommen zu haben. Wie ein Schatten schien der oder die andere selbst dort mit Leichtigkeit hindurchzukommen, wo Landru einen Bogen schlagen mußte, um etwa eine Bodenspalte oder ein Geröll-feld zu umgehen.
Daß es sich nicht um ein Tier handelte, das er da verfolgte, wußte Landru inzwischen. Er hatte Spuren im Staub gefunden.
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