Die Verdammnis
Eindeutig menschliche Spuren - oder wenigstens doch humanoid.
Gesehen hatte er die fliehende Person indes noch nicht. Fast kam es ihm vor, als wüßte sie, wann seine Blicke ihren Rücken treffen konnten, und ginge stets im rechten Moment in Deckung oder schlüge einen Haken, der zumindest Sichtschutz zwischen sie und Landru brachte.
Die Erfrischung, die ihm das Trinken gebracht hatte, war beinahe verflogen. Der schnelle Lauf trieb ihm von neuem den Schweiß aus allen Poren und zehrte an seinen Kräften.
Landru hatte die Menschen nie verachtet, schließlich hätte sein Volk ohne das ihre nicht existieren können.
Heute jedoch tat er es. Er verachtete sie ihrer Schwäche und Unzulänglichkeit wegen - und er verfluchte jene Macht, die ihn auf eine Stufe mit den Sterblichen gestellt hatte.
Und ein klein wenig haßte er auch sich selbst ob seines armselig und elend gewordenen Daseins .
Bevor er erneut in dumpfes Brüten verfallen konnte, setzte Landru sich wieder in Bewegung.
Inzwischen hatte er das bizarre Wäldchen längst durchquert. Dahinter hatte sich ein strauchbewachsenes Steinfeld ausgebreitet, aus dem etliche Felsblöcke ragten wie von Riesenhand hingestreut. Das Gelände führte sanft, aber stetig bergan und endete am Fuß der Ge-birgsformationen, die ohnehin sein Ziel gewesen waren. So unerreichbar sie ihm vorhin noch erschienen waren, so rasch kamen sie nun näher. Als beflügelte etwas aller Anstrengung zum Trotz seine Schritte.
Vielleicht war es ja auch so. Vielleicht verlieh ihm die bloße Aussicht auf Antworten Kraft. Und er hoffte, die Kraft würde schließlich auch noch genügen, den Fliehenden zu überwältigen. Denn wer so beharrlich floh, der würde sich nicht einfach geschlagen geben, wenn er am Ende doch noch erwischt wurde.
Die Jagd gestaltete sich für Landru noch beschwerlicher, als sie in die Berge führte. Was aus der Ferne wie bizarre, mitunter monströse Formationen ausgesehen hatte, erwies sich nun als ein Labyrinth unterschiedlich großer und wie aufeinandergetürmt wirkender Felsblöcke, die doch miteinander »verwachsen« waren. Tunnel und Spalten führten in den Stein hinein. Einige, das erkannte Landru im Vorüberklettern, gingen ins Nichts, andere in lichtlose Tiefen.
Der Weg des Flüchtenden indes führte nach oben. Mit der Geschicklichkeit eines Affen turnte er an den meist steil aufragenden Felsabschnitten empor, jede Sichtdeckung nutzend, während Land-ru nur langsam vorankam. Hätten sich unter den Händen und Füßen des anderen nicht immer wieder Steine gelöst, würde Landru die Spur längst verloren haben.
Andererseits - mußte nicht jemand, der offenbar hier zu Hause war, heimlichere Wege und Möglichkeiten des Vorankommens kennen als diese? Fast schien es nämlich, als würde der andere dafür sorgen, daß Landru ihm auf der Fährte blieb ...
Momentelang witterte Landru eine Falle. Aber er schlug die Warnung seines Instinkts schließlich in den Wind. Selbst wenn dort oben irgendwelche Gefahren auf ihn lauern mochten - er mußte sich ihnen stellen, wenn er wissen wollte, wo und vor allem woran er war.
Und nichts anderes wollte er.
Im oberen Drittel der zerklüfteten Bergflanke änderte der Gejagte dann seine Fluchtrichtung. Er setzte sich in einen der Gänge ab, die sich in den Fels hineinwanden. Landru folgte ihm auch dorthin, mußte sich aber bereits nach der zweiten Kehre des Tunnels allein auf seinen Tastsinn und sein Gehör verlassen. Finsternis nistete in dem Gang wie etwas Greifbares. In dieser völligen Lichtlosigkeit hätten wohl nicht einmal vampirische Augen etwas zu sehen vermocht. Denn selbst sie benötigten einen winzigen Rest von Hellig-keit, den sie potenzieren und so nutzen konnten.
Unbewußt hatte Landru seine Schritte mit Betreten des Tunnels zu zählen begonnen. Nach 340 schimmerte weit vor ihm vage Helligkeit, zwei Gangbiegungen weiter konnte er seine Umgebung wieder deutlich erkennen, und nur ein paar Meter entfernt endete der Schlauch durch den Fels.
Im ersten Augenblick meinte Landru in ein schrundiges Felsental zu sehen. Erst auf den zweiten Blick erkannte er, was da vor ihm lag.
Er blieb stehen, wie vor eine unsichtbare Wand gelaufen!
Was sich da vor ihm ausbreitete war Mimikry in beinaher Vollendung. Die Siedlung inmitten der Berge war kaum zu erkennen, so perfekt war sie in ihrer Bauweise der Umgebung angepaßt. Selbst jetzt noch, da Landru sie schon entdeckt hatte, schien sie vor seinen Augen immer wieder zu verschwinden oder
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