Die Verfluchten
gefallen war, bis jetzt zu schweigen.
»Wenn du unbedingt heilig gesprochen werden willst, dann sind wir
hier im falschen Teil der Welt!«
»Ich wollte ihn nicht einfach sterben lassen«, antwortete Andrej.
»Du hast Recht - es war ein Fehler. Der Sturz war… härter, als ich
erwartet habe.«
»Ach?«, machte Abu Dun spöttisch.
»Und weil ich glaube, dass Arslan ein ehrlicher Mann ist«, fuhr
Andrej unbeeindruckt fort. »Er wird die Wahrheit herausfinden.« Er
warf Abu Dun im Gehen einen fragenden Blick zu. »Bist du vielleicht versessen darauf, von ganz Mardina als Dieb und Räuber gesucht zu werden?«
Abu Dun funkelte ihn an, hüllte sich aber in beleidigtes Schweigen.
Nach einer Weile hob Andrej die Schultern und sagte in verändertem, fast fröhlichem Ton: »Sieh es doch einfach so: Jetzt brauchen
wir wenigstens nicht mehr zu entscheiden, ob wir mit oder ohne Geld
zum Sklavenmarkt zurückgehen.«
Jetzt, in der nahezu menschenleeren Nacht, wirkte der Sklavenmarkt auf eine vollkommen andere, möglicherweise noch schlimmere Art unheimlich. Es fiel Andrej schwer, das Gefühl in Worte zu
kleiden, aber er musste keine entsprechende Frage an Abu Dun richten, um zu spüren, dass es dem Nubier ganz genauso erging. Je näher
sie dem Sklavenmarkt gekommen waren, desto schweigsamer und
abweisender war er geworden. Doch Andrej konnte den Aufruhr spüren, der hinter der Maske der Ausdruckslosigkeit tobte, zu der Abu
Duns Gesicht wieder erstarrt war. Irgendetwas war hier, obwohl sie
kaum einen Laut hörten, kaum ein Licht sahen. Es war, als hätten die
uralten Mauern, die den großen Platz am östlichen Stadtrand von
Mardina säumten, all das Leid aufgesogen, das dieser Ort gesehen
hatte, jede Träne und jedes Seufzen bewahrt, jeden Schmerz konserviert, jedes verzweifelte Flehen und jeden Fluch behalten, der zu den
Göttern hinaufgeschickt worden war, und gäbe sie nun wieder frei,
sodass sie wie ein Chor flüsternder Stimmen in ihren Gedanken wisperten.
Der Stand, auf dem am Nachmittag die nubischen Sklaven feilgeboten worden waren, lag nun ebenso verwaist und still da wie alle anderen. Dennoch stockte Abu Dun sichtbar in seiner Bewegung, als sie
lautlos wie Schatten daran vorüberhuschten, und Andrej sah, dass er
die Hände so fest zu Fäusten ballte, dass das Knacken seiner Gelenke
noch einige Schritte weit zu hören gewesen sein musste. Im ersten
Moment empfand er einen absurden Ärger über diese Verzögerung,
dann aber wurde ihm klar, wie ungerecht dieser Gedanke war. Auch
er hatte sich am Nachmittag gerade noch beherrschen können, um
nicht sein Schwert zu ziehen und Meruhe gewaltsam zu befreien,
dabei gehörte sie nicht einmal zu seinem Volk, sondern war streng
genommen eine Fremde für ihn, die er nur ein einziges Mal und nur
für wenige Stunden gesehen hatte.
Als hätte Abu Dun seine Gedanken gelesen, ging er plötzlich
schneller weiter und streifte Andrejs Gesicht mit einem kurzen, fast
trotzigen Blick, doch als Andrej dazu ansetzte, etwas zu sagen, schüttelte er nur den Kopf und machte eine abwehrende Geste. Gleichzeitig deutete er zum anderen Ende des Platzes auf den Stand, der ihr
eigentliches Ziel war. Die hölzernen Podeste und Laufstege waren
verwaist, nirgendwo war auch nur ein einziger Mensch zu sehen,
aber hinter vielen dieser monströsen Verkaufsstände befanden sich
Zelte. Die meisten waren klein und schäbig und - wie ihnen ihr Gehör und ihr Geruchssinn verriet - verlassen, in einigen wenigen jedoch brannte Licht, und sie hörten gleichmäßige Atemzüge, da und
dort ein lautes Schnarchen, aber auch gedämpfte Stimmen, einmal
ein kurzes, schrilles Gelächter, das aber sofort wieder verstummte.
Auch hinter dem Stand, den Andrej und Abu Dun ansteuerten, war
ein kleines Zelt aufgeschlagen worden, durch dessen zerschlissenen
Stoff das matte Licht einer ruhig brennenden Öllampe drang. Behutsam und mehrmals innehaltend, um sich aufmerksam umzublicken,
näherten sie sich ihm. Andrej blieb noch einmal stehen und lauschte
mit geschlossenen Augen, bevor er die Hand nach der Plane vor dem
Eingang ausstreckte. Dahinter brannte Licht, aber er konnte die
gleichmäßigen Atemzüge eines einzelnen Menschen hören, der offensichtlich tief und traumlos eingeschlafen war.
Andrej verzichtete darauf, seine Waffe zu ziehen, als er den Vorhang zurückschlug und gebückt in das Zelt trat. Es wirkte von innen
kleiner, als es von außen den Anschein gehabt hatte, und das winzige, trübe
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