Die Verfluchten
schien, was Andrej getan hatte, brüllte noch lauter und versuchte sich aus seinem
Griff loszumachen. Aber Andrej umklammerte ihn nur umso fester,
mobilisierte das letzte bisschen Kraft, das er in seinem geschundenen
Körper fand, und versuchte sich im Sturz so zu drehen, dass er sich
unter dem Hauptmann befand. Die Zeit, die Zähne zusammenzubeißen und sich gegen den bevorstehenden Aufprall zu wappnen, blieb
ihm nicht mehr.
Der Aufschlag aus gut zehn Metern Höhe war grausam, und das
Schicksal hielt eine weitere leidvolle Überraschung für ihn bereit: Er
verlor nicht das Bewusstsein, sondern erlebte die Qualen des Aufpralls in allen schmerzhaften Einzelheiten. Er spürte, wie etwas in
ihm zerbrach. Blut füllte seinen Mund und versuchte ihn zu ersticken, sein Herz hörte für einen Moment auf zu schlagen, setzte dann
unregelmäßig und zehnfach schneller wieder ein, und jeder einzelne
Pulsschlag jagte neue, grausame Wellen lodernder roter Glut durch
seinen Körper. Und da war noch etwas anderes, eine Dunkelheit, die
nach seinen Gedanken greifen wollte und die etwas zugleich ungemein Verlockendes wie Schreckliches an sich hatte, und hinter der
noch etwas lauerte, etwas Unbekanntes und Finsteres. Vielleicht hatte er sich dieses Mal zu viel zugemutet. Sein Körper war zwar in der
Lage, Verletzungen zu heilen und Schmerzen zu ertragen, wie es für
normale Menschen schier unmöglich war, aber er war nicht unverwundbar, und er war auch nicht wirklich unsterblich.
Alles drehte sich um ihn. Die Dunkelheit am Grunde seiner Gedanken wurde intensiver, die Verlockung stärker. Andrej hatte sich immer gefragt, wie es sein würde, wenn er eines Tages zu weit ging,
weit genug, um festzustellen, dass er die unsichtbare Grenze überschritten hatte, von der er wusste, dass es sie gab, und zu weit, um
noch einmal umzukehren. Vielleicht war heute dieser Tag. Trotz allem kam ihm der Gedanke, wie lächerlich ein solches Ende wäre; zu
sterben, weil er ausgerechnet einen Mann hatte retten wollen, der aus
keinem anderen Grund hergekommen war als dem, ihn an den Galgen zu bringen.
Aber er starb nicht.
Es dauerte lange - in Wahrheit wahrscheinlich nur Augenblicke, die
ihm aber wie ein Vorgeschmack der Ewigkeit vorkamen -, aber irgendwann zog sich die Finsternis aus seinen Gedanken zurück, die
Schmerzen ebbten ab, und aus den roten Nebeln vor seinen Augen
begannen sich wieder Umrisse herauszuschälen. Er konnte sehen,
dass er auf dem Rücken lag und der Himmel über ihm in einem düsteren, allmählich heller werdenden Rot zu glühen begann. Irgendwo,
weit entfernt, auf der anderen Seite der Welt, so kam es ihm vor, waren aufgeregte Stimmen und Schreie zu hören. Dann klärten sich
seine Sinne endgültig, und er spürte, wie ein Teil seiner Kraft in seine zerschmetterten Glieder zurückfloss. Andrej fühlte sich elend und
schwach, und er wusste, dass das lange so bleiben würde. Plötzlich
war ein Hunger in ihm, den er nur zu gut kannte und dem zu widerstehen ihm unendlich schwer fiel. Das Ungeheuer zerrte an seinen
Ketten. Es spürte seine Schwäche und versuchte, sie auszunutzen.
Andrej gewann auch diesen Kampf, wenn auch nur mühsam und
unter Aufbietung seiner letzten Willenskraft. Das Ungeheuer fauchte
noch einmal enttäuscht, hörte aber dann auf, an den Stäben seines
Gefängnisses zu rütteln, und zog sich wieder in die finsterste Ecke
zurück. Andrej war sich nicht einmal sicher, ob er ihm diesmal gewachsen gewesen wäre, hätte es wirklich mit aller Kraft gekämpft.
Mühsam setzte er sich auf, bereute diese Bewegung aber augenblicklich wieder, denn die Straße und der rote Widerschein des Feuers am Himmel begannen sich prompt noch heftiger um ihn zu drehen. Andrej verbarg das Gesicht für einen Moment in den Händen,
nahm die Arme dann herunter und starrte verständnislos auf seine
Finger. Seine Hände waren so rot vor Blut, dass es aussah, als trüge
er nasse, hellrote Handschuhe. Es kam ihm nicht einmal in den Sinn,
dass es sein eigenes Blut war.
»Das war ausgesprochen tapfer von dir, Hexenmeister«, sagte eine
Stimme hinter ihm.
Andrej starrte seine Hände noch einen weiteren Moment lang vollkommen verständnislos an, bevor er sich mühsam umdrehte. Abu
Dun, der mit angezogenen Knien an der Mauer lehnte und den Kopf
gegen den rauen Stein gelegt hatte, wartete, bis er sich seiner vollen
Aufmerksamkeit sicher sein konnte, bevor er hinzufügte: »Und so
ziemlich das Dümmste, was ich je gesehen
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