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Die Verfluchten

Die Verfluchten

Titel: Die Verfluchten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Hohlbein
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brennende Flämmchen der Öllampe hätte für die Augen
eines normalen Menschen kaum ausgereicht, um mehr als verschwommene Umrisse aus der Dunkelheit auftauchen zu lassen.
    Es hätte sich allerdings auch nicht gelohnt, mehr zu sehen. Das Zelt
war ein einziges Chaos von offenbar wahllos übereinander geworfenen Kleidungsstücken, von einfachen, eigentlich nur noch aus Fetzen
bestehenden Mänteln bis hin zu bunten Schals und halb durchsichtigen Schleiern von der Art, wie Meruhe sie am Nachmittag getragen
hatte, und einem ganzen Sammelsurium der unterschiedlichsten Waffen, die aber ebenfalls wild durcheinander lagen, als hätte jemand sie
einfach durch den Eingang des Zeltes geworfen und dann vergessen.
Der Besitzer dieses Durcheinanders lag inmitten der Unordnung
schlafend auf der Seite, und Andrej sah, dass sie vermutlich gerade
noch rechtzeitig gekommen waren, um eine Katastrophe zu verhindern, denn er hatte seine Öllampe einfach oben auf einen Stapel aus
Kleidern und Decken gestellt, auf dem sie schon bedrohlich ins Rutschen gekommen war. Noch eine einzige unbedachte Bewegung, die
der Mann im Schlaf machte, und sie musste herunterfallen und das
ganze Zelt in Brand setzen, wahrscheinlich mitsamt seinem Besitzer.
    Hinter ihm kam Abu Dun herein, schloss die zerschlissene Plane
vor dem Eingang wieder und sah sich dann erst mit finsteren Blicken
um. Andrej gab ihm ein Zeichen, am Eingang stehen zu bleiben und
zu lauschen, dann ging er zu dem Schlafenden hin, nach Möglichkeit
ohne dabei ständig irgendetwas umzustoßen oder zu stolpern, was
ihm einige Mühe bereitete. Er beugte sich vor und hätte nun um ein
Haar selbst die Katastrophe ausgelöst, über die er gerade noch nachgedacht hatte, denn sein Fuß stieß unbeabsichtigt gegen den Deckenstapel, und die Lampe rutschte zur Seite. Andrej konnte sie gerade
noch auffangen.
    Der Schlafende bewegte sich unruhig, drehte sich auf die andere
Seite und schmatzte zweimal laut, ohne die Augen zu öffnen. Andrej
stupste ihn leicht mit dem Fuß an. Das Ergebnis war ein abermaliges,
noch lauteres Schmatzen und ein leichtes Zucken seiner Augenlider.
    »Er hat einen gesunden Schlaf«, sagte Abu Dun.
»Ja«, bestätigte Andrej. »Was wieder einmal beweist, dass alte
Volksweisheiten manchmal gar nicht so weise sind, nicht wahr?«
Abu Dun blickte ihn fragend an, und Andrej fuhr fort: »Oder würdest
du hier vom Schlaf der Gerechten reden?«
Er stupste den Sklavenhändler noch einmal mit der Stiefelspitze an,
diesmal schon etwas derber, und der Mann drehte sich im Schlaf erneut um. Er blinzelte, schloss die Augenlider wieder - nur um sie
kurz darauf umso weiter aufzureißen - und versuchte gleichzeitig,
sich hochzustemmen. Andrej setzte ihm den Fuß auf die Brust und
drückte ihn langsam, aber mit großer Kraft zurück.
»Für einen Mann, der einem so gefährlichen Gewerbe nachgeht«,
sagte er lächelnd, »bist du ziemlich leichtsinnig, findest du nicht?«
Der Sklavenhändler keuchte. Mehr brachte er nicht zustande, denn
Andrejs Fuß drückte ihn unerbittlich nieder.
»Ich halte dich für einen vernünftigen Mann«, fuhr Andrej fast im
Plauderton fort, während er scheinbar interessiert das kleine Öllämpchen musterte, das er immer noch in der rechten Hand hielt. »Aber
dennoch: Versprichst du mir, keinen Lärm zu machen und dich auch
sonst zu benehmen, wenn ich den Fuß wegnehme?«
»Ich kann dir meinen Fuß leihen«, sagte Abu Dun vom Eingang
her, »wenn es dir zu lästig wird. Er ist schwerer.«
Der Sklavenhändler nickte hastig und gab ein abermaliges, würgendes Keuchen von sich; mehr konnte er nicht, denn Andrej hatte
seine Haltung leicht geändert und drückte ihn nun mit seinem gesamten Körpergewicht nieder. Das Gesicht des Burschen begann langsam dunkel anzulaufen, was ihm eigentlich ganz gut stand.
»Gut«, sagte Andrej. »Da ich dich für einen Ehrenmann halte, will
ich das einfach mal glauben.«
Er nahm den Fuß zurück, bewegte sich aber ansonsten nicht von der
Stelle, hielt auch noch immer das Öllämpchen in der rechten Hand.
Der Sklavenhändler stemmte sich keuchend und prustend auf die
Ellbogen hoch, wagte es aber nicht, ganz aufzustehen, als Andrej ihm
einen flüchtigen Blick zuwarf und dabei ein Kopf schütteln andeutete.
»Wer… wer seid Ihr und was… was wollt Ihr von mir?«, würgte er
unter Husten und keuchendem Atemholen hervor. Dann riss er die
Augen noch weiter auf und starrte abwechselnd Andrej und Abu Dun
an.

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