Die Verfluchten
einmal eine Kreatur wie Ali Jhin.« Meruhe wandte sich wieder
an Andrej. »Du hast Recht. Sie werden dorthin gehen, ob ich dort bin
oder nicht. Ich muss die Menschen zumindest warnen. Das bin ich
ihnen schuldig. Begleitet ihr mich?«
»Natürlich«, antwortete Andrej, bevor Abu Dun es tun konnte.
»Dann sollten wir besser nicht noch mehr Zeit verlieren. Ich habe…« Meruhe brach ab, legte den Kopf auf die Seite und schien einen Augenblick zu lauschen. Andrej tat dasselbe, hörte aber nichts
Außergewöhnliches. »Es ist so weit«, fuhr Meruhe in verändertem
Ton fort. »Schnell jetzt. Folgt mir.«
Sie wartete ihre Antwort nicht ab, sondern fuhr auf der Stelle herum
und ging - diesmal aber auf eine Art, die es ihnen ermöglichte, ihr zu
folgen. Dicht hintereinander traten sie auf die immer noch wie ausgestorben daliegende Straße hinaus. Meruhe blieb nach ein paar Schritten noch einmal stehen, um zu lauschen.
»Wohin gehen wir?«, flüsterte Andrej.
»Zum Osttor«, gab Meruhe zurück, zwar nicht besonders laut, aber
auch nicht flüsternd. »Doch nicht auf direktem Weg. Benehmt euch
unauffällig. Ein flüsternder Mann, der von Schatten zu Schatten
huscht, fällt viel mehr auf als einer, der sich ganz normal benimmt.«
»Vielen Dank für den guten Rat«, sagte Abu Dun spitz. »Und wo
bleibt nun deine versprochene Ablenkung?«
»Nur keine Sorge«, erwiderte Meruhe. »Sie kommt.«
Vielleicht waren es gerade diese Worte, die Andrej in Sorge versetzten. »Was hast du getan?«
Meruhe antwortete nur mit einem angedeuteten Achselzucken und
einem neuerlichen kühlen Blick in Abu Duns Richtung, doch in diesem Moment glaubte Andrej etwas wie einen Schrei durch die Nacht
heranwehen zu hören. Alarmiert sah er in die entsprechende Richtung, erkannte aber kaum mehr als einen gewaltigen klobigen Schatten, der sich hoch über die Dächer der umliegenden Häuser erhob.
Abu Dun sprach das Wort aus, gerade, als es Andrej einfiel.
»Die Garnison?«, murmelte er.
»Du wolltest doch, dass deine Landsleute befreit werden, oder?«
Wieso sagte sie deine?, dachte Andrej verwirrt.
Abu Duns Augen weiteten sich. »Du… du hast die Sklaven befreit?«, ächzte er.
»Ich kann leider nicht zaubern«, erwiderte Meruhe, »auch wenn du
es anscheinend gern glauben würdest. Sagen wir, ich habe dafür gesorgt, dass Faruks Gardisten für eine Weile beschäftigt sind.«
Erneut wehte ein Schrei durch die Nacht heran, diesmal gefolgt von
einem dumpfen Laut, den Andrej nicht einordnen konnte. In dem
monströsen Schatten über den Dächern erschienen zwei winzige hell
leuchtende Rechtecke; Fenster, hinter denen Licht aufgeflammt war.
»Du hast die nubischen Sklaven befreit?«, vergewisserte sich Andrej. »Du allein?«
»Nicht nur die nubischen Sklaven«, antwortete Meruhe. »Aber sie
auch, ja.«
»Faruks Soldaten werden sie abschlachten«, sagte Abu Dun.
»Kaum«, erwiderte Meruhe. »Sklaven sind ein wertvoller Besitz.
Die Soldaten werden sie nicht töten. Aber sie werden genug damit zu
tun haben, sie wieder einzufangen.« Sie hob erneut die Schultern.
»Einige werden verletzt werden, das mag sein. Einige wenige werden
vielleicht sogar getötet werden, aber einige werden vielleicht auch
entkommen.«
Wie um ihre Worte zu bestätigen, nahm der Lärm, der aus dem
Garnisonsgebäude zu ihnen herüberwehte, an Lautstärke zu. Weitere
Lichter flammten hinter den Fenstern und Schießscharten auf, und
Andrej hörte deutlich Schreie und Lärm, aber auch das Klirren von
Waffen. So viel zu Meruhes Behauptung, dass den Sklaven schon
nichts passieren würde, dachte er bitter. Während der Lärm hinter
ihnen weiter zunahm und mehr und mehr Fenster der Garnisonsfestung in hellem Licht erstrahlten, näherten sie sich der Stadtmauer.
Auch die Straßen hinter ihnen hallten jetzt von vereinzelten Schritten
und Schreien wider, und Andrej glaubte entfernten Hufschlag zu hören, der näher kam.
Die Stadtmauer lag nun vielleicht noch einen oder zwei Häuserblocks entfernt, und Andrej wollte seine Schritte unwillkürlich beschleunigen, doch Meruhe schüttelte plötzlich den Kopf und deutete
nach links. »Wartet hier. Ich bin gleich zurück.«
Sie gab ihnen auch jetzt keine Gelegenheit zu widersprechen, sondern verschwand wieder genauso schnell wie zuvor, und Andrej
blieb mit hilflosem Gesichtsausdruck stehen und starrte die Schatten
an, die sie regelrecht verschlungen zu haben schienen. Er würde diesen Trick von ihr lernen müssen, dachte er, oder sie
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