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Die Verfluchten

Die Verfluchten

Titel: Die Verfluchten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Hohlbein
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sie. Wieder drohte Panik Andrej zu übermannen, und diesmal kostete es ihn noch
mehr Mühe, sich dieses heimtückischen Angriffs zu erwehren. Er
fühlte sich, als sei er am Grunde eines unendlichen Ozeans, eingesperrt an einem Ort, der noch niemals das Licht der Sonne gesehen
hatte, und so weit vom Leben entfernt, wie es überhaupt nur möglich
war.
»Irgendwo hier muss es doch einen zweiten Ausgang geben«,
murmelte Abu Dun hinter ihm.
»Bestimmt sogar«, hörte sich Andrej zu seiner eigenen Überraschung antworten. Noch mehr überraschte ihn der spöttische Ton, der
unerwartet in seiner Stimme lag. »Wahrscheinlich sogar mehr als
einen. Ich wette, sogar eine ganze Menge mehr, als du haben möchtest.«
»Einer würde mir schon genügen«, grollte Abu Dun. Andrej konnte
hören, wie seine Finger weiter über uralten Stein und fast ebenso alte
Symbole und Schriftzeichen tasteten.
»Und dann?«, sagte er. »Was hast du damit vor? Blind drauflosstürmen und dich verirren? Hast du vergessen, was Meruhe über dieses Labyrinth erzählt hat?«
»Keineswegs. Aber das Rattenloch, aus dem wir nicht herausfinden, ist noch nicht gegraben worden.« Abu Dun lachte leise. »Was
ist los mit dir, Hexenmeister? Hast du etwa Angst?«
Es lag Andrej auf der Zunge, ganz einfach mit Ja zu antworten, und
das wäre die Wahrheit gewesen. Zugleich aber wusste er, dass Abu
Dun Recht hatte: Dieses Labyrinth mochte gefährlich sein und für
jeden anderen auf der Welt eine durchaus tödliche Gefahr darstellen,
für sie aber nicht. Früher oder später - und sei es durch einen bloßen
Zufall - würden sie den Rückweg finden, nicht nur, weil sie mehr
Zeit hatten als alle anderen, sondern weil ihnen auch andere Möglichkeiten zur Verfügung standen. Es mochte Stunden dauern, Tage,
wenn sie Pech hatten, und vielleicht noch länger. Aber irgendwann würden sie den Ausgang finden.
Dennoch machte ihm dieser unterirdische Tempel Angst. Dasselbe
Gefühl, das er vorhin schon einmal verspürt hatte, beschlich ihn nun
erneut, und diesmal mit ungleich größerer Macht. Irgendetwas war
hier. Und das war es, was ihn beunruhigte.
»Ich hätte auf diesen Blinden hören sollen, den wir vor ein paar
Jahren in Prag getroffen haben«, sagte Abu Dun hinter ihm.
»Welchen Blinden?«
Abu Duns Kleider raschelten, als er wieder näher kam. »Erinnerst
du dich? Sie hatten ihm die Augen ausgestochen, und doch konnte er
sich fast so sicher bewegen wie einer, der sehen kann.«
Andrej erinnerte sich tatsächlich an den Mann, aber er verstand
nicht, worauf Abu Dun hinauswollte.
»Und wie auch?«, erwiderte Abu Dun mit einem leisen, spöttischen
Lachen, als Andrej seine Frage verneint hatte. »Du warst viel zu sehr
damit beschäftigt, den Weinkeller des Wirtshauses leer zu trinken
und den Huren nachzustellen. Aber ich habe mit ihm gesprochen. Er
hat mir erzählt, dass er auf eine bestimmte Weise mit der Zunge
schnalzt, und dass ihm das Echo darauf fast so viel über seine Umgebung verrät, wie es seine Augen früher getan haben.«
Jetzt erinnerte sich Andrej. Er hatte das für Unsinn gehalten, und er
verstand auch nicht, wie ihnen das jetzt weiterhelfen sollte.
»Mit diesem Trick kämen wir leicht hier heraus«, fuhr Abu Dun
fort. Andrej glaubte zu sehen, wie er die Stirn in Falten legte und
angestrengt nachdachte. »So schwer kann es ja eigentlich nicht sein.
Vielleicht versuche ich es einfach.«
Er gab einen sonderbar schnalzenden Laut von sich, der in der Enge
des Raumes widerhallte wie ein Peitschenhieb. Andrej fuhr erschrocken zusammen. »Lass den Unsinn«, sagte er.
»Warum?«, fragte Abu Dun. »Hast du vielleicht etwas Besseres
vor?« Er wiederholte sein Schnalzen, tat es noch einmal und noch
einmal und sagte dann überrascht: »He! Ich glaube, es funktioniert
tatsächlich. Da müsste ein Ausgang sein!«
Unverzüglich ging er los, machte zwei schnellere Schritte, schnalzte noch einmal und machte dann noch einen Schritt, dann ertönte ein
dumpfer Knall und ein nicht ganz unterdrückter Fluch, der ein kurzes, schadenfrohes Lächeln auf Andrejs Lippen erscheinen ließ.
»Anscheinend ist es doch nicht ganz so einfach.«
»Das werden wir…«, begann der Nubier und brach dann so abrupt
ab, dass Andrej abermals erschrocken zusammenfuhr und den Kopf
in die Richtung drehte, aus der die Stimme seines Freundes gekommen war.
»Was?«
»Still!«, zischte Abu Dun. »Hörst du nichts?«
Andrej lauschte angestrengt und mit angehaltenem Atem, und

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