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Die Verfluchten

Die Verfluchten

Titel: Die Verfluchten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Hohlbein
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dieses Bauwerk geweiht gewesen war, und den die
Angreifer doch nicht zu schänden gewagt hatten. Vielleicht war er in
seiner Größe und Massigkeit auch einfach zu gewaltig gewesen, um
ihn zu zerstören oder auch nur nennenswert zu beschädigen.
Das Licht, das Andrej und Abu Dun hierher gelockt hatte, stammte
von einer großen Anzahl unregelmäßig geformter und unterschiedlich großer, in einem gleichmäßigen, matten Grün glühender Flecken, die über die Wände, die Decke, den Boden und die Trümmer
und zerbrochenen Statuen verteilt waren. Andrej hatte so etwas
schon einmal gesehen, wenn auch nicht in dieser Anzahl und an einem so sonderbaren Ort. Es handelte sich um nichts Übernatürliches,
sondern nur um Kolonien leuchtender Pflanzen oder Pilze, was den
Anblick zwar erklärbar machte, ihm aber dennoch nichts von seiner
unheimlichen Wirkung nahm.
Abu Dun berührte ihn an der Schulter und deutete mit der anderen
Hand nach links. Als Andrejs Blick der Geste folgte, sah er zwei
menschliche Gestalten, die nur ein kleines Stück jenseits des Altars
zwischen den Trümmern standen und unterschiedlicher kaum sein
konnten.
In einer von ihnen erkannte er Meruhe, obwohl sie in ihrem
schwarzen Mantel und mit dem weit über die Schultern fallenden
Haar in dem bleichen Licht kaum deutlicher als ein Schemen war.
Die andere war ein gutes Stück größer als sie, hatte dieselbe, ebenholzschwarze Haut, trug aber strahlend weiße Kleidung, die im unheimlichen Licht der leuchtenden Pilze in einem eigentümlichen Ton
schimmerten. Andrej musste unwillkürlich an menschliche Gebeine
denken, die tausend Jahre lang von der unbarmherzigen Sonnenglut
der Wüste ausgebleicht worden waren.
»Seth?«, flüsterte Abu Dun.
Andrej deutete nur ein Schulterzucken an. Meruhe und der Fremde
waren viel zu weit entfernt, als dass er ihre Gesichter erkennen konnte. Er war nicht einmal sicher, ob er Seth wiedererkannt hätte, hätte
er unmittelbar vor ihm gestanden. Es war seltsam: Ganz plötzlich
wurde ihm klar, dass er das Gesicht des Unsterblichen vergessen
hatte, so nachhaltig, als hätte irgendetwas die Erinnerung daran aus
seinen Gedanken gelöscht.
Er hob noch einmal die Schultern, um seine Unsicherheit zu überspielen, und bedeutete Abu Dun mit Gesten, sich weiterzubewegen.
Der Sims, auf dem sie herausgekommen waren, musste sich einst
um den gesamten Raum herumgezogen haben. Jetzt war er an mehreren Stellen unterbrochen, aber sie würden die Distanz zwischen Meruhe und dem Fremden immerhin gut wahren können. Abu Dun
blickte seinen Freund fragend an und schien es für keine gute Idee zu
halten (Andrej selbst auch nicht, aber er hatte keine bessere). Dann
setzte er sich aber gehorsam in Bewegung, hielt jedoch sofort wieder
inne, als der steinerne Sims unter ihm leise zu knirschen begann.
Andrej konnte hören, wie sich kleine Splitter und Steinbrocken aus
dem uralten, morschen Fels lösten und in die Tiefe stürzten, und einen Moment lang hatte er das schreckliche Gefühl, das ganze gewaltige Bauwerk unter sich schwanken zu spüren.
Abu Dun erstarrte zur Reglosigkeit, und auch Andrej presste sich
instinktiv fester gegen den Boden und hielt sogar den Atem an, als er
sah, wie die weiß gekleidete Gestalt, mit der Meruhe sprach, mit einem Ruck den Kopf wandte und in ihre Richtung sah. Wenn sie über
dieselbe, unheimliche Fähigkeit wie Meruhe verfügte, Gedanken
hören zu können, dann würden sie unweigerlich entdeckt werden.
Doch der gefährliche Moment verging; Seth drehte sich wieder zu
Meruhe um und fuhr fort, heftig gestikulierend auf sie einzureden.
»Was tut sie da?«, flüsterte Abu Dun.
Andrej hätte eine Menge für die Antwort auf diese Frage gegeben.
Die beiden stritten heftig miteinander, so viel war klar, aber er
verstand nicht, worum es ging.
Sie mussten näher herankommen. Behutsam versuchte Andrej noch
einmal, sich auf Hände und Knie hochzustemmen, und diesmal hatte
er wenigstens nicht den Eindruck, dabei das gesamte Gebäude in
gefährliche Schwankungen zu versetzen. Dennoch musste er wohl
ein verräterisches Geräusch verursacht haben, denn Seth fuhr abermals herum, und diesmal ging sein Blick so eindeutig in seine und
Abu Duns Richtung, dass Andrej sicher war, entdeckt worden zu
sein.
Verdammt, ich hatte euch befohlen, zu bleiben, wo ihr seid!, wisperte eine Stimme in seinen Gedanken. Gleichzeitig aber sah er, wie
Meruhe herumfuhr und die Hand nach etwas ausstreckte, das zwischen Trümmern und

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