Die Verfluchten
Männer und Frauen den Tod finden.«
Dann weckst du sie eben hinterher wieder auf, dachte Andrej.
Meruhe starrte ihn an, als hätte er diesen Gedanken laut ausgesprochen. »Außerdem würden ihnen die beiden anderen Teile von Ali
Jhins Heer zu Hilfe eilen, sobald sie sehen, was geschieht.« Sie
schüttelte noch einmal den Kopf, und diesmal auf eine Art, die keinen Widerspruch mehr duldete. »Nein. Ganz davon abgesehen, dass
sie es sehen würden, wenn wir ihnen entgegenkommen, und entsprechende Vorbereitungen treffen könnten - es ist nicht leicht, einen
Hinterhalt zu legen, wenn es im Umkreis eines Tagesmarsches nichts
gibt, wo wir uns verstecken könnten.«
»Vielleicht doch«, widersprach Andrej. Er erklärte Meruhe kurz,
wie es Abu Dun und ihm gelungen war, am Abend zuvor ungesehen
hinter die Sklavenkarawane zu gelangen. Meruhe hörte auch interessiert zu, ja, er glaubte sogar, so etwas wie ein anerkennendes Funkeln
in ihren Augen zu entdecken. Dennoch blieb es bei ihrer Ablehnung.
»Ihr seid Krieger, Andrej«, sagte sie bedauernd. »Was euch ganz
leicht erscheinen mag, ist für die meisten hier völlig unmöglich. Und
selbst wenn es anders wäre, der Preis wäre zu hoch.«
»Hast du eine bessere Idee?«, fragte Abu Dun böse.
»Nein«, gestand Meruhe. »Obwohl…«
»Obwohl - was?«, fragte Andrej, als sie nicht weitersprach, sondern
nur nachdenklich in östliche Richtung blickte.
»Es gibt eine Wasserstelle, vielleicht zwei Stunden von hier. Wenn
wir sie erreichen…«
»Einen Brunnen?«, schnappte Abu Dun. Er wirkte fassungslos, zugleich aber auch wütend. »Es gibt Wasser hier? Und du schickst uns
quer durch die Wüste und lässt uns fast verdursten?«
Meruhe bedachte ihn mit einem Blick, der dem Zorn Abu Duns
noch mehr Nahrung gab. »Es ist kein Brunnen, sondern ein Ort, den
man besser meidet, wenn man nicht unbedingt auf ihn angewiesen
ist. Und abgesehen davon hätten wir einen Umweg von Stunden in
Kauf nehmen müssen - fast dieselbe Zeit, die wir brauchten, um das
Dorf zu erreichen.«
»Und jetzt ist der Weg kürzer?«, fragte Abu Dun aufgebracht.
»Jetzt spielt es keine Rolle mehr«, sagte Meruhe. »Wir schaffen es
nicht mehr bis zu den Höhlen, bevor Ali Jhins Männer uns eingeholt
haben.« Sie überlegte kurz und kam dann zu einem Entschluss. »Wir
gehen dorthin.«
»Um was zu tun?«, fauchte Abu Dun. Zornentbrannt deutete er auf
den Sklavenhändler. »Seinen Männern Sklaven auszuliefern, die nicht kurz vor dem Verdursten stehen? Wie zuvorkommend.«
»Vielleicht, um ein paar Leben zu retten«, antwortete Meruhe leise.
Sie gab ihm keine Gelegenheit zu widersprechen. »Mein Entschluss
steht fest, Abu Dun. Ihr müsst uns nicht begleiten. Du und dein
Freund, ihr habt genug für uns getan. Ich bin euch dankbar dafür, und
ich nehme es euch nicht übel, wenn ihr jetzt entscheidet, uns zu verlassen. Ihr könnt euch die besten Pferde nehmen, die wir haben, und
alles Wasser, das ihr findet. Ich glaube kaum, dass Ali Jhins Krieger
euch verfolgen werden. Sie wollen uns. Mich und ihren Herrn.«
»Willst du mich beleidigen, Weib?«, grollte Abu Dun. »Abu Dun
ist noch niemals vor einem Kampf davongelaufen, und er lässt gewiss niemanden im Stich!«
Sein ohnehin nur gespielter Zorn prallte an Meruhe ab. »Ich halte
dich nicht für einen Feigling, Abu Dun«, sagte sie ernst. »Ganz im
Gegenteil. Ihr beide seid sicherlich die tapfersten Männer, denen ich
jemals begegnet bin. Aber zwei gegen hundert, das hat nichts mit
Tapferkeit zu tun. Ich kann nicht von euch verlangen, dass ihr sehenden Auges in den Tod geht.«
»Wir sind ihnen schon einmal entkommen«, gab Andrej zu bedenken.
»Ja, aber da haben sie Rücksicht auf das Leben ihres Anführers genommen«, antwortete Meruhe. »Ich bezweifle, dass sie das noch
einmal tun werden. So unverhohlen, wie sie uns einzukreisen versuchen, machen sie keinen Hehl aus ihren Absichten. Sie werden angreifen.«
»Ganz bestimmt sogar«, pflichtete ihr Ali Jhin bei, machte aber
vorsichtshalber gleichzeitig einen Schritt zurück, um aus Abu Duns
Reichweite zu kommen.
»Ich glaube Ali Jhin«, fuhr Meruhe fort. »Vielleicht werden sie
mich töten, euch ganz bestimmt, wenn ihr ihnen in die Hände fallt,
aber meinen Leuten werden sie nichts antun. Sie werden weiterleben.«
»Ja, als Sklaven«, schnaubte Abu Dun verächtlich.
»Aber sie werden leben, und vielleicht wird sich später eine Gelegenheit für sie ergeben, ihre Freiheit zurückzuerlangen«, beharrte
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