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Die Verfluchten

Die Verfluchten

Titel: Die Verfluchten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Hohlbein
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blieb und eine junge Frau mit einer rüden Kopfbewegung dazu aufforderte, ihm den Zügel des Pferdes
auszuhändigen, das sie hinter sich herführte. Auch dieses Tier sah
alles andere als frisch aus, machte aber von allen, die er bisher gesehen hatte, noch den kräftigsten Eindruck.
»Doch, das ist es«, sagte Andrej. Er reichte Abu Dun den Zügel.
»Hier. Nimm es. Es sieht aus, als könnte es dein Gewicht wenigstens
noch eine Weile tragen, bevor es zusammenbricht.«
Der Nubier griff blindlings nach dem Lederriemen, starrte Andrej
aber weiter ungläubig an. »Aber wir können sie doch nicht…«
»Was?«, fiel ihm Andrej gereizt ins Wort. »Verlassen?« Er nickte
grimmig, während er sich bereits suchend nach einem anderen Pferd
umsah. »Doch, genau das können wir. Was willst du tun? Ganz allein
gegen einhundert oder mehr Männer kämpfen? Mach dich nicht lächerlich, Abu Dun. Das schaffen nicht einmal wir.«
Er hatte ein weiteres Pferd entdeckt, das sich noch in einigermaßen
passablem Zustand zu befinden schien, steuerte es mit schnellen
Schritten an und scheuchte den Mann, der auf seinem Rücken saß,
mit einer energischen Bewegung weg.
»Bist du plötzlich feige geworden?«, versuchte es Abu Dun ein
letztes Mal.
»Nein«, antwortete Andrej. »Aber auch nicht verrückt. Komm jetzt!
Wir haben einen weiten Weg vor uns.«
Ohne auch nur zu Abu Dun zurückzusehen, schwang er sich auf das
Tier und packte die Zügel so hart, dass das Pferd erschrocken zu tänzeln begann und er noch mehr Kraft aufbieten musste, um es wieder
unter seine Kontrolle zu bringen. Die Männer und Frauen in seiner
unmittelbaren Nähe wichen erschrocken zurück, und nicht wenige
warfen Abu Dun und ihm verwirrte, aber auch vorwurfsvolle und
enttäuschte Blicke zu, denn er hatte laut genug gesprochen, um auch
in weiterem Umkreis verstanden zu werden. Er wollte diese Blicke
nicht sehen. Für viele von ihnen, das war ihm klar, waren Abu Dun
und er längst zu ihrer einzigen Hoffnung geworden. Sie hatten gesehen, wie der nubische Riese mit bloßen Händen die Gitterstäbe auseinander gebogen hatte. Sie hatten gesehen, wie sie ganz allein den
Männern widerstanden hatten, unter denen ihr Volk schon länger litt,
als die meisten von ihnen am Leben waren, und sie hatten erlebt, wie
diese beiden sie aus der Gefangenschaft zurück in die Freiheit geführt hatten.
Jetzt mussten sie zusehen, wie ihre Beschützer sie verließen.
Es war nicht so, dachte Andrej. Es war kein Verrat, keine Feigheit,
sondern das Einzige, was sie tun konnten und was irgendeinen Sinn
machte. Wenn sie blieben, wurden sie mit Sicherheit getötet. Nicht
einmal Abu Dun und er waren imstande, es mit einer solchen Übermacht aufzunehmen. Dennoch war ihm klar, dass es für all diese
Männer und Frauen nicht anders aussehen konnte, als dass sie davonliefen. Sie hatten etwas angefangen, was sie nicht beenden konnten,
und nun ließen sie die entwichenen Sklaven im Stich und machten
sich im wahrsten Sinne des Wortes aus dem Staub.
»Worauf wartest du?«, fragte er, als Abu Dun immer noch zögerte,
auf das Pferd zu steigen.
Noch einmal vergingen endlose, schwere Herzschläge, in denen der
nubische Riese ihn nur zweifelnd anstarrte und sich nicht von der
Stelle rührte. Schließlich aber zog er sich ächzend auf das Pferd, das
unter seinem enormen Gewicht überrascht tänzelte und einen halben
Schritt zur Seite machen musste, um auf dem lockeren Sand nicht
das Gleichgewicht zu verlieren, und lenkte es an Andrejs Seite. »Reite vor, Sahib«, sagte er kühl. »Der Mohr wird dir folgen.«
Von allem, was Andrej bisher gehört hatte, trafen ihn diese Worte
vielleicht am härtesten. Abu Dun hielt ihn für einen Feigling. Und
das tat weh.
Sie ritten in langsamem Tempo bis zum Ende der Kolonne zurück,
dann ließ Andrej das Pferd in einen raschen Trab fallen, wartete darauf, dass Abu Dun sich an seine Seite setzte, und warf ihm schließlich einen ungeduldigen Blick zu, als nichts geschah. Im ersten Moment erwiderte der Nubier seinen Blick trotzig, dann aber ließ er sein
Tier vier, fünf rasche Schritte machen und ritt schließlich im gleichen
Tempo neben ihm her.
»Und wohin jetzt?«, fragte er, noch immer in diesem eisigen, kalten
Ton, der Andrej mehr traf als alles andere.
»Nach Westen, wie Meruhe gesagt hat«, antwortete Andrej. Nach
einer winzigen Pause fügte er hinzu: »Wenigstens so lange, wie sie
uns noch sehen können.«
Er sah Abu Dun bewusst nicht an,

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