Die Verfluchten
aber er konnte dessen überraschten Gesichtsausdruck spüren. »Wie sie uns…«, begann dieser,
schwieg dann abermals einen Moment und setzte neu an: »Du hattest
also gar nicht vor, sie wirklich allein zu lassen?«
Andrej ließ ausreichend Zeit verstreichen, bevor er ihn mit einem
mitleidigen Blick maß und antwortete. »Für diese Frage allein sollte
ich dich zum Duell fordern.«
»Das heißt, wir machen kehrt und folgen ihnen«, vermutete Abu
Dun.
»Ja«, sagte Andrej, »sobald wir außer Sichtweite sind. Vor allem
aus der von Alijhins Kriegern.«
»Hast du einen Plan?«, erkundigte sich Abu Dun.
Andrej warf einen Blick über die Schulter zurück, bevor er antwortete. Einen sehr langen, sehr aufmerksamen und sehr besorgten
Blick. Obwohl sie erst seit wenigen Augenblicken unterwegs waren,
war die Karawane der entflohenen Sklaven schon ein gutes Stück
zurückgefallen, denn wenn nicht sie, so entwickelten doch zumindest
ihre Pferde ein beachtliches Tempo. Meruhe und Ali Jhin waren nur
noch als winzige, dunkle Punkte am vorderen Ende der Karawane zu
erkennen, und das nur, weil Andrej wusste, wonach er suchte. Auch
die Staubwolken, die den Weg von Ali Jhins Kriegern markierten,
hatten sich bewegt. Sie befanden sich jetzt ein gutes Stück vor Meruhe und ihren Leuten und schienen sich zugleich auch deutlich aufeinander zubewegt zu haben. Wahrscheinlich, dachte er besorgt, war
seine Schätzung ebenso falsch gewesen wie die Abu Duns. Die Männer würden die Flüchtenden lange vor Sonnenuntergang eingeholt
haben. »Nein. Wir folgen ihnen in sicherem Abstand und sehen dann,
was passiert.«
Abu Dun wirkte enttäuscht. »Das ist alles?«
»Das ist alles«, bestätigte Andrej. »Mehr können wir nicht tun,
fürchte ich.« Etwas leiser und fast nur an sich selbst gewandt fügte er
hinzu: »Ich kann nur hoffen, dass Meruhe zur Vernunft kommt und
sich in Sicherheit bringt.«
Eine Zeit lang ritten sie schweigend nebeneinander her, dann fragte
Abu Dun unvermittelt: »Diese Frau bedeutet dir viel, habe ich
Recht?«
Andrej blickte erschrocken auf. Ihm war trotz allem nicht klar gewesen, dass man ihm seine Gefühle so deutlich ansehen konnte. Aber
wenn nicht Abu Dun, mit dem er nun schon deutlich länger als ein
Menschenalter zusammen war, wer sonst sollte seine Gedanken lesen
können?
»Ich bin nicht sicher«, antwortete er wahrheitsgemäß.
»Was meinst du damit, nicht sicher?«, fragte Abu Dun. »Wie kann
man nicht sicher sein, was man für einen Menschen empfindet?«
»Sie macht mir auch Angst.« Dieses Eingeständnis war Andrej fast
peinlich. Umso überraschter war er, als Abu Dun plötzlich lachte.
»Keine Frau, die es wert ist, dass ein Mann sich nach ihr umdreht,
macht ihm keine Angst.«
»Was war das jetzt?«, erkundigte sich Andrej misstrauisch. »Eine
uralte arabische Weisheit oder einfach nur Unsinn?«
»Wer sagt denn, dass das eine das andere ausschließt?«, gab Abu
Dun grinsend zurück, wurde aber im gleichen Moment wieder ernst.
»Sie macht dir Angst, weil du nicht weißt, wer sie ist«, behauptete er.
»Weißt du es denn?«
»Nein«, antwortete Abu Dun, »aber das muss ich auch nicht. Mir
macht sie ja auch nur Angst, und sonst nichts.« Sein Blick wurde auf
sonderbare Art weich. »Hast du dich in sie verliebt?«
Diesmal fiel es Andrej leicht, sofort und mit einem heftigen Kopfschütteln zu antworten. Nein, er hatte sich ganz gewiss nicht in Meruhe verliebt. Viel mehr Angst hatte er hingegen vor der Frage, ob er
sie liebte.
»Vielleicht sollten wir tatsächlich zu dieser Karawanserei reiten,
die sie uns beschrieben hat«, sagte Abu Dun plötzlich.
Andrej konnte ihn nur ungläubig anstarren. »Hast du mich nicht gerade noch als Feigling beschimpft, weil ich genau das vorgeschlagen
habe?«
»Da wusste ich ja auch noch nicht, was mit dir los ist«, erwiderte
Abu Dun. »Sie wird dir das Herz brechen, Andrej. Falls sie es nicht
bereits getan hat. Bist du sicher, dass du diesen Schmerz noch einmal
ertragen willst?«
Natürlich nicht, dachte Andrej. Er würde es nicht noch einmal ertragen können. Aber etwas in ihm schrak so heftig vor dem Gedanken zu fliehen zurück, dass er sich selbst weigerte, ihn zu Ende zu
denken.
»Hättest du Julia im Stich gelassen?«, fragte er. Erst, als die Worte
bereits heraus waren, wurde ihm klar, was er da gesagt hatte, aber zu
seiner Überraschung reagierte Abu Dun nicht verletzt oder zornig,
sondern sah ihn nur beinahe noch trauriger an.
»Nein. Aber
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