Die Verfluchten
allerletzte Rest seines Mutes verließ
und er es plötzlich sehr eilig hatte, wieder zu verschwinden.
»Geht«, sagte er. »Wir bringen das hier schon in Ordnung.«
Natürlich würden sie nicht einfach gehen, das war ihm klar. Vielleicht war schon jemand unterwegs, um nach der Obrigkeit zu rufen,
auf jeden Fall aber musste das, was hier geschehen war, in kürzester
Zeit die Runde machen. So viel zu ihrem Vorsatz, dachte Andrej,
sich möglichst unauffällig zu verhalten und ein normales Leben zu
führen.
Rasch drehte er sich wieder um und ließ sich neben Abu Dun in die
Hocke sinken. Abu Dun hatte die ganze Zeit weiter mit leiser, beruhigender Stimme auf den Jungen eingeredet, doch anscheinend ohne
Erfolg. Die Augen des Knaben blieben leer. Entweder, dachte Andrej, hatte man ihn mit Drogen beruhigt oder ihm vielleicht auch etwas noch viel Schlimmeres angetan.
»Was habt ihr mit ihm gemacht?«, wollte er wissen.
Die Frage galt der älteren Frau, die mittlerweile endgültig die Hände heruntergenommen hatte und mit zögernden, kleinen Schritten
näher kam. Auf ihrem Gesicht lieferten sich verschiedene Gefühle
einen stummen Kampf, doch Andrej glaubte auch zu spüren, dass sie
jetzt nicht mehr ganz so erschrocken und verängstigt war wie noch
vor einem Moment. Die jüngere war neben Fasil niedergekniet und
rüttelte an seiner Schulter, um ihn wach zu bekommen. Bei den
Kopfschmerzen, die der Kerl haben musste, dachte Andrej mit einiger Befriedigung, geschah ihm das nur recht.
»Nichts, Herr«, versicherte die Frau hastig. »Er… er war schon so,
als Fasil ihn gebracht hat, das schwöre ich!«
Andrej sah sie zweifelnd an, entdeckte aber keine Spur von Unwahrheit in ihrem Gesicht und wandte sich wieder dem Jungen zu.
Aufmerksam lauschte er in ihn hinein. Da war noch eine schwache
Spur von Leben, aber es schien nur noch ein blasses Glimmen zu
sein, wo doch eigentlich eine ruhig brennende Flamme sein sollte.
»Wir müssen weg, Abu Dun«, raunte er.
Natürlich reagierte der Nubier nicht auf seine Worte, sondern versuchte weiter, Paras aus seinem Zustand herauszureißen, aus dem er
vermutlich gar nicht mehr zurückkehren konnte. »Dafür töte ich
ihn«, murmelte er.
Andrej verzichtete darauf, weiter in Abu Dun zu dringen. Stattdessen stand er wieder auf, ging zu dem Bewusstlosen hin - die beiden
letzten Männer, die das Zimmer noch nicht verlassen hatten, hatten
es plötzlich sehr eilig, durch die Tür ins Freie zu stürmen - und bedachte ihn mit einem ebenso langen wie mitleidlosen Blick.
»Hat er gesagt, woher er den Jungen hat?«, wandte er sich an die
jüngere Frau.
Sie schüttelte nur stumm den Kopf und sah ihn nicht einmal an, aber die andere sagte hastig: »Vom Sklavenmarkt, Herr.«
»Und von wo dort genau?«, wollte Andrej wissen.
»Das weiß ich nicht«, versicherte sie. »Das ist wahr! Fasil sagt mir
nie etwas. Er hat ihn gebracht und… und uns aufgetragen, ihn… ihn
herzurichten, damit…« Sie sprach nicht weiter, wofür ihr Andrej
beinahe dankbar war. Er konnte sich denken, wofür.
»Abu Dun!«, sagte er noch einmal, jetzt mit etwas mehr Nachdruck
in der Stimme. »Wir müssen von hier verschwinden.«
»Und der Junge?«, fragte Abu Dun.
»Willst du ihn vielleicht mitnehmen?«, gab Andrej zurück und
schüttelte den Kopf. »Das ist wohl schwer möglich.«
»Aber wir können ihn doch nicht einfach hier lassen!«, begehrte
Abu Dun auf.
Andrej überlegte einen Moment und wandte sich dann noch einmal
direkt an die ältere Frau. »Du bist mir dafür verantwortlich, dass ihm
nichts geschieht. Du wirst ihn gesund pflegen und dafür sorgen, dass
er anständiges Essen und Kleider bekommt, und er wird euch vielleicht bei euren täglichen Arbeiten zur Hand gehen, aber sonst werdet ihr nichts mit ihm tun, hast du das verstanden?« Sie nickte hastig.
»Ja, Herr.«
»Das hoffe ich«, fuhr Andrej in drohendem Ton fort. »Denn wir
werden zurückkommen und uns davon überzeugen, dass es ihm gut
geht. Sag das auch deinem Mann, oder was immer er sein mag.
Wenn uns zu Ohren kommt, dass diesem Jungen irgendetwas angetan wurde oder er etwa plötzlich verschwunden sein sollte, dann
kommen wir wieder. Und das nächste Mal halte ich Abu Dun nicht
zurück.«
Er gab dem Nubier einen abermaligen Wink aufzustehen, und tatsächlich erhob sich Abu Dun halb, fiel aber dann noch einmal auf die
Knie zurück und legte die Hand auf die schmale Schulter des Jungen.
»Was haben sie ihm angetan?«, fragte er. Sein Blick
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