Die Verfluchten
Nubier auch schon sein Ziel erreicht und fiel auf
die Knie. Sein breiter Rücken versperrte Andrej die Sicht. Er erkannte nur, dass der Gefährte vor einem schmutzigen Diwan hockte, auf
dem eine lang ausgestreckte Gestalt lag.
Hastig erkämpfte sich Andrej sein Gleichgewicht zurück, warf einen raschen Blick über die Schulter zur Tür - draußen war noch niemand zu sehen, aber er hörte aufgeregte Stimmen, Lärm und Schritte,
die rasch näher kamen - und musterte auch den Mann, den Abu Dun
niedergeschlagen hatte, mit einem sehr raschen, aufmerksamen
Blick. Er lag mit geschlossenen Augen auf der Seite und blutete heftig aus Mund und Nase, aber Andrej konnte seine Atemzüge hören
und das schnelle, aber gleichmäßige Schlagen seines Herzens. Immerhin lebte er noch.
Mit einem einzigen Schritt - diesmal aber einen respektvollen Abstand einhaltend - war Andrej wieder neben Abu Dun und beugte
sich neugierig vor. Auf dem Diwan, der so schmutzig war, dass Andrej ihn nicht einmal einem Hund als Lager zugemutet hätte, lag eine
ausgemergelte, sonnenverbrannte Gestalt. Es war ein Junge schwer
zu schätzenden Alters; möglicherweise zehn oder zwölf Jahre alt. Er
war nahezu zum Skelett abgemagert, und trotz des Schmutzes auf
seiner Haut konnte Andrej die Spuren schwerer Misshandlungen
erkennen, die er erlitten hatte. Etwas in seinem Gesicht kam ihm bekannt vor, aber er wusste nicht, was es war.
»Verdammt noch mal, Abu Dun - was soll das?!«, herrschte er den
Freund an.
Abu Dun schenkte ihm einen kurzen, wütenden Blick, beugte sich
dann aber, ohne zu antworten, weiter über den Jungen und ergriff ihn
bei den Schultern, wie um ihn zu schütteln. Stattdessen jedoch hob er
ihn fast sanft an, richtete ihn in eine halbwegs sitzende Position auf
und legte dann behutsam die Hand unter sein Kinn, damit der Junge
ihn ansehen konnte. Im ersten Moment hatte Andrej geglaubt, der
Knabe sei bewusstlos, nun aber öffnete er träge die Lider und blickte
in Abu Duns Gesicht.
»Verstehst du mich?«, murmelte Abu Dun.
Eine der Frauen, die der Nubier gerade so grob abgeschüttelt hatte,
rappelte sich auf und machte eine Bewegung, als wollte sie sich sofort wieder auf Abu Dun stürzen, prallte aber dann mitten in der Bewegung zurück, als Andrej ihr einen eisigen Blick zuwarf. Die andere war herumgefahren und stürmte aus der Tür, und es kostete Andrej
keine große Mühe, sich zu denken, was sie dort draußen tat. »Es ist
alles in Ordnung«, sagte er zu der anderen. »Mach dir keine Sorgen.
Wir kommen für den Schaden auf.«
»Kannst du mich verstehen?«, fragte Abu Dun noch einmal, jetzt
etwas lauter. Seine Stimme wurde drängender. »Erkennst du mich?«
Der Junge reagierte auch auf diese Aufforderung nicht. Er sah den
Nubier an, aber sein Blick blieb vollkommen leer. In seinen Augen
war nicht nur kein Wiedererkennen, das Abu Dun offensichtlich erwartet hatte, sondern auch fast kein Leben mehr, dachte Andrej
schaudernd.
»Würdest du mir jetzt bitte endlich…«, begann er. Abu Dun schnitt
ihm das Wort ab, indem er mit einem Ruck den Kopf drehte und ihn
anfuhr: »Erkennst du ihn denn nicht, Hexenmeister? Das ist der Junge aus der Wüste!«
Und jetzt erst, dafür aber mit umso größerer Wucht, fiel es Andrej
wie Schuppen von den Augen. Abu Dun hatte Recht! Auch wenn
sein Gesicht damals vom Sonnenbrand gezeichnet und beinahe noch
schmutziger gewesen war als jetzt - der Junge, der da vor Abu Dun
und ihm lag, war Paras, das Kind, dem Meruhe während ihrer Flucht
das Leben gerettet hatte!
»Aber wie…«, murmelte er, brach dann mitten im Satz ab und fuhr
mit einer so plötzlichen Bewegung zu der älteren Frau hinter sich
herum, dass diese erschrocken einen Schritt zurückprallte und schützend die Arme vor das Gesicht hob.
»Woher kommt dieser Junge?«, herrschte er sie an.
Sein scharfer Ton schüchterte sie offensichtlich noch mehr ein,
denn sie zog nun auch den Kopf zwischen die Schultern und wich
weiter vor ihm zurück, bis sie mit dem Rücken gegen die Wand
prallte. »Tut mir nichts, Herr!«, flehte sie. »Es ist nicht meine
Schuld!«
»Woher dieser Junge kommt, will ich wissen!«, wiederholte Andrej
und stand auf. Er war noch gut zwei oder drei Schritte von der Frau
entfernt, und er hatte sich nicht einmal in ihre Richtung bewegt, aber
sie krümmte sich trotzdem hinter ihren abwehrend erhobenen Armen,
als hätte er sie geschlagen. »Es ist nicht meine Schuld!«, wiederholte
sie weinerlich. »Fasil
Weitere Kostenlose Bücher