Die Verfluchten
hat ihn gebracht. Ich habe ihm gesagt, er ist zu
jung, aber er hört nie auf mich!«
Andrej verstand kein Wort. »Fasil?« Er sah kurz zu dem Bewusstlosen hin, den Abu Dun mitsamt der Tür zu Boden geschleudert hatte. Die Schritte und der aufgeregte Lärm draußen waren näher gekommen. »Ist er das?«
Die Frau nickte hastig. Tränen liefen jetzt über ihr Gesicht. Langsam nahm sie die Hände herunter, und als Andrej eine winzige Bewegung machte, fuhr sie erneut zusammen und nahm wieder ihre
abwehrende Haltung ein, als wäre sie nicht sicher, ob er sie nicht
doch schlagen würde. Auch Andrejs allerletzter Rest von Mitgefühl
für den Bewusstlosen schwand. »Ja«, stammelte sie. »Ich habe ihm
gesagt, dass es nicht recht ist, aber er hört nie auf mich.«
»Dass was nicht recht ist?«, wollte Andrej wissen. »Bist du so naiv,
oder tust du nur so, Hexenmeister?«, grollte Abu Dun hinter ihm.
»Was glaubst du, wozu sie diesen Jungen hierher gebracht haben?«
Andrej sah sich noch einmal aufmerksamer in der schäbigen Behausung um. Ihre Einrichtung bestand nur aus dem zerschlissenen
Diwan, auf dem der Junge lag, einem kaum weniger verschlissenen
Teppich und einem dreieckigen Schemel, auf dem eine Wasserpfeife
stand. Abgesehen von dem säuerlichen Geruch kalten Schweißes,
dem Gestank nach Unrat und Fäulnis lag noch ein anderes, ganz
schwaches Aroma in der Luft. Ein Geruch, der betörend hätte sein
können, wäre er etwas weniger aufdringlich gewesen. Sein Gesicht
verfinsterte sich noch weiter. »Ich dachte, so etwas bestraft Allah mit
dem Tode«, sagte er leise.
»Allah vielleicht nicht«, grollte Abu Dun. »Aber ich.«
Die Frau, die das kurze Gespräch mit weit aufgerissenen Augen
verfolgt hatte, wurde tatsächlich noch blasser und begann jetzt am
ganzen Leib zu zittern. »Woher kommt dieser Junge?«, verlangte
Andrej zu wissen.
»Ich weiß es nicht, Herr«, wimmerte sie. »Fasil hat ihn gebracht,
vor ein paar Tagen.«
Als wäre der Klang seines Namens durch den Nebel aus Bewusstlosigkeit gedrungen, regte sich Fasil stöhnend. Andrej überlegte, sich
mit seiner Frage gleich an ihn zu wenden - und zwar auf eine Art, die
bewirken würde, dass er sie bestimmt beantworten würde -, sah aber
zugleich auch ein, dass das wenig Sinn gehabt hätte. Abu Dun hatte
ihn zweifellos geschont, was allein der Umstand bewies, dass er noch
am Leben war, aber er würde vermutlich Stunden brauchen, um auch
nur wieder so weit zu sich zu kommen, dass er sich an seinen Namen
erinnerte. Darüber hinaus tauchte genau in diesem Moment die zweite Frau wieder in der Tür auf, die gerade hinausgestürzt war, und sie
war nicht allein. Hinter ihr stürmte ein halbes Dutzend erboster Männer herein. Einige von ihnen waren mit Messern bewaffnet, andere
nur mit Knüppeln, einer sogar mit einer großen Bratpfanne.
»Hier ist alles in Ordnung«, sagte Andrej ruhig. Die junge Frau
schlug erschrocken die Hand vor den Mund und stolperte über Fasil,
fing sich aber im letzten Moment wieder, sodass sie nicht fiel, und
auch die anderen, die hinter ihr hereindrängten, schien plötzlich der
Mut zu verlassen. Einer der Burschen stürmte noch weiter und blieb
erst zwei Schritte vor Andrej stehen, das aber so hastig, dass zwei
andere gegen ihn prallten und ihn fast zu Boden gerissen hätten, und
auch an der Tür entstand Gedränge und Unruhe.
»Es ist alles in Ordnung«, wiederholte Andrej, eine Spur lauter und
eine Spur schärfer. »Es war nur ein Missverständnis, mehr nicht.« Er
wandte sich an die ältere Frau, die noch immer zitternd dastand, jetzt
aber zumindest die Hände heruntergenommen hatte. »Das ist doch
so, oder?«
Sie nickte. »Ja, Herr«, flüsterte sie. »Es ist nichts passiert. Eine
dumme Verwechslung, mehr nicht.«
»Ihr habt es gehört«, sagte Andrej. »Nur eine Verwechslung.«
Zwei oder drei der Männer wichen tatsächlich wieder zurück, die
anderen standen einfach da und blickten sich verwirrt oder auch zornig um. Zumindest in einem Augenpaar glaubte Andrej so etwas wie
Begreifen und dann plötzliche Empörung zu erkennen, die nicht ihm
oder dem Nubier galt. Draußen vor der Tür wurde die Unruhe noch
lauter, als etliche der Hereingekommenen nun versuchten, das Zimmer wieder zu verlassen. Der gefährliche Moment war noch nicht
vorüber. Dennoch nahm Andrej jetzt die Hand wieder vom Schwert
und starrte den Burschen, der sich beinahe auf ihn gestürzt hätte, so
eisig an, dass ihn auch noch der
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