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Die Vergangenheit des Regens

Titel: Die Vergangenheit des Regens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tobias O. Meißner
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hin gegen unbekannte Ungeheuer abschirmten.
    Zweimal an diesem ersten Tag sahen sie voraus übergroße keilerartige Tiere mit fremdartigen Hornplattenbewüchsen durchs Blattwerk brechen, flüchtend, von der Gruppe weg. Zweimal glaubte Jacomer einen Spinnenmenschen zu sehen, doch beide Male entpuppte sich das Erspähte lediglich als moosig ausgefranstes Wurzelwerk. Mehrmals glitt jemand auf dem ungewohnten und schmierigen Untergrund aus. Rodraeg schlug einmal lang hin und hätte schwören können, dass ihm eine der Ranken ein Bein gestellt hatte. Aber auch Ijugis, Ukas, Selke, Bestar und Migal machten unsanfte Bekanntschaft mit dem pilzig weichen Untergrund, Ukas sogar mehrmals. Wer auch immer sich so würdevoll wie möglich wieder erhob, tropfte vor Erdreich und Asseln.
    Sie durchquerten einen Bereich, in dem es zu regnen schien, aber es war nur angestaute Feuchtigkeit, die von oben aus den Wipfeln stürzte. Wo Himmel zu entdecken war, blieb es trocken und klar.
    Dann, nach sechs Stunden etwa und ungefähr sechzig kleineren Unterbrechungen, erreichten sie eine Art Sumpf. Die Bäume hatten sich hier auf ihren Wurzeln über die Wasseroberfläche erhoben wie Damen, die ihre Röcke anhoben, um durch Pfützen zu waten. Dichtes, fleischiges Reetgras spross aus dem Brachwasser, in dem es von Kaulquappen, Oberflächenläufern, schwimmenden Hundertfüßlern und Fischen mit spinnenartigen Flossen nur so wimmelte. Der Erleuchtete probierte von dem Wasser. Es war süß, aber dennoch von lebendigen Schwebteilchen verunreinigt.
    Â»Nach Trockenheit sieht das hier ja nicht gerade aus«, bemerkte Ijugis. Seine Leute nutzten die kurze Pause zum Verschnaufen und Schweißabwischen.
    Â»Wir sind immer noch im äußeren Bereich«, erläuterte Timbare. »Mehr als ein paar Meilen haben wir nicht geschafft. Der Sumpf wird nicht groß sein, eine Meile höchstens. Ich würde ihn gerne noch heute durchqueren, damit wir dahinter dann ein Nachtlager aufschlagen können. Es gibt nur ein Problem: Seht ihr diesen Nebel, der dort hinten über dem Sumpf wabert?«
    Â»Ja?« Ijugis und Rodraeg begaben sich beide nach vorne neben Timbare und starrten ins vielfach gebrochene Licht.
    Â»Das ist kein Nebel«, stellte Timbare klar. »Das sind Stechmücken. Um da durchzukommen, müssen wir am besten jeden Zoll unseres Körpers umwickeln. Vielleicht benutzen wir auch das Verbandszeug dazu. Wir werden hinterher hoffentlich noch einen Quellfluss finden, um es wieder zu reinigen.«
    Â»Können wir diesen Sumpf nicht einfach umgehen?«, fragte Rodraeg wenig begeistert.
    Â»Nach dem, was mir die Gatate erzählt haben, bilden diese Sümpfe eine Art Ring um das Innere des Waldes. Wir müssen also hindurch, aus welcher Richtung auch immer. Ich habe bereits einen Weg eingeschlagen, der zu einer möglichst schmalen Sumpfstelle führt.«
    Â»Du kannst dich hier drinnen tatsächlich orientieren?«
    Timbare nickte. »Bislang unterscheidet sich dieser Wald nicht von dem, in dem Kinjo und ich leben. Schwierig wird es erst, wenn die unnatürliche Trockenzone beginnt und man sich auf die angestammten Zeichen des Waldes nicht mehr verlassen kann.«
    Sie trafen ihre Vorkehrungen. Rodraeg setzte sich den Strohhut auf, den er bislang aufgrund der engen Pfade noch nicht getragen hatte, und zog ihn sich bis fast an die Augen über die Stirn. Dann zerrte er sich genau wie Tjarka, Bestar, Migal und Onouk seinen Kleidungskragen über das Gesicht und die Hemdsärmel über die Hände. Da das Verbandszeug nicht für alle ausreichte, hüllten Timbare, Kinjo, Ijugis, Tegden und Selke sich in ihre Schlafdecken, bis sie kaum noch daraus hervorschauen konnten. Ukas, Jacomer und der Erleuchtete waren die Einzigen, die sich mit Verbandszeug und Tüchern über und über bandagieren konnten. Jacomer dichtete die Bandagen sogar zusätzlich noch mit Lehm ab, was Zeit beanspruchte und deshalb den Unmut der anderen erregte.
    Am Ende aber war Jacomer derjenige von ihnen, der tatsächlich die wenigsten Schwierigkeiten mit den Insekten bekam.
    Die Idee mit den Schlafdecken erwies sich schnell als Fahrlässigkeit. Die Mücken drangen in großen Mengen durch den Sichtschlitz und andere Falten unter die Decken, fanden von dort aus nicht mehr hinaus und gebärdeten sich in selbstmörderischer Panik. Etwa ab der Mitte des Sumpfdurchwatens warfen Timbare,

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