Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Die Vergangenheit des Regens

Titel: Die Vergangenheit des Regens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tobias O. Meißner
Vom Netzwerk:
Kinjo, Ijugis, Tegden und Selke die Decken einfach von sich und rannten schreiend oder wild um sich schlagend durcheinander. Ihre dunkle Haut half Timbare und Kinjo nun kein bisschen mehr. Auch Rodraeg und die anderen wurden von derart dichten, bösartig schwirrenden Wolken räuberischer Insekten eingehüllt, dass sie kaum die Hand vor Augen sehen konnten. Die Wolken ballten sich wie Fäuste und wirbelten gleich konzentrierten Stürmen über die Sumpfoberfläche. Ukas Nouis stürzte ins Brackwasser, als eine Art fühlerbewehrter Hecht nach seinem Bein schnappte und ihn aus dem Gleichgewicht zerrte. Bestar, der ihm helfen wollte, glitt aus und klatschte ebenfalls lautstark ins Nass. Seine schwere Segmentrüstung schien sich am Grund festzusaugen, sodass ihm schon die Sinne zu schwinden begannen, bis es Tjarka, Jacomer und Onouk mit vereinten Kräften gelang, ihn und Ukas wieder an die Luft zu ziehen.
    Beim Atmen gerieten ihnen Mücken in Nasenlöcher und Mund. Auch in die Ohren drangen die Tiere ein.
    Â»Das Wasser!«, rief Timbare, der energisch um sich fuchtelte. »Wir müssen … das Wasser … benutzen … sonst fressen die uns … auf!« Nach diesen Worten ließ ihr Anführer sich ins trübe Wasser fallen. Die meisten anderen folgten seinem Beispiel augenblicklich.
    Rodraeg jedoch, Selke Birlen, Tegden Baudo und auch Migal hatten die Orientierung verloren. Das Summen der Schwärme war so laut, so durchdringend bissig in den Ohren, dass sie Timbares Worte nicht hatten hören können. Das allgegenwärtige Flattern und Klatschen an ihren Körpern und die schillernden Wolken, aus denen sich immer wieder auch größere Schnaken herausschälten und dann noch bedrohlichere libellenartige Tiere mit überlangen, schlaff herabhängenden Beinen, waren dermaßen dicht und verwirrend und vielgestaltig, dass jeder dieser vier gefangen war in einer eigenen Welt des Beuteseins. Rodraeg spürte mehrere Dutzend Stiche, die kurz schmerzhaft waren, dann heftigst zu jucken begannen. Selke, Tegden und Migal erging es nicht besser. Sie tappten herum wie Erblindete und wurden in ihren Bewegungen stetig müder.
    Bis Ukas und Bestar mit Sumpfgras behängt zwischen ihnen aus dem Wasser emportauchten und jeden von ihnen so zu Fall brachten, dass sie ins ölig-breiige Nass eintauchten. Jetzt paddelten und prusteten alle dreizehn im Sumpfwasser umher, wehrten sich dagegen, im schlickigen Boden einzusinken und unter die Oberfläche geschlürft zu werden, und wurden bei jedem Atemholen von wütend anstürmenden Stechmücken attackiert. Niemand wusste mehr, welche Richtung die einzuschlagende war und wo die anderen sich befanden. Selbst Timbare und Kinjo hatten in dem Flügelgewitter die Orientierung verloren.
    Jetzt schlug die große Stunde des kleinen Jacomer. Er, der aufgrund seiner sorgfältigen Schutzvorbereitung als Einziger noch aufrecht im Sumpf waten konnte, ohne besinnungslos gestochen zu werden, übernahm nun die Führung und rief mit schriller, durchdringender Stimme: »Hierher! Mir hinterher! Hier geht es zum Ufer!« So führte er die Gruppe – zwar nicht in kürzester, gerader Richtung, aber immerhin in einem noch einigermaßen spitzen Winkel zum ursprünglich eingeschlagenen Weg – durch das Summen und Schwirren und Schweben hin zur jenseitigen Randböschung. Dort gab es dann noch einmal ein Hindernis in dem rutschigen und trügerischen Uferhang, aber diesmal konnten Tjarka, der Erleuchtete, Timbare und Kinjo, die sich alle vier äußerst geschickt auf schwierigem Untergrund bewegten, den anderen tatkräftig aus dem Sumpf heraushelfen.
    Die Insektenschwärme folgten ihnen nicht und tanzten weiterhin als millionenfach zersplitterte Erscheinung über dem Wasser.
    Die Gruppe sammelte und sortierte sich ächzend. Timbare schüttelte wieder und wieder den Kopf und sagte: »Das war unnatürlich! Ich habe schon hundertmal solche Sümpfe durchquert, aber diese Tiere waren beinahe … zornig!«
    Rodraeg, Selke, Tegden, Migal und Kinjo waren heftigst zerstochen worden. Ukas hatte es fertiggebracht, dreimal von seltsamen Fischen angeknabbert zu werden. Ijugis hatte eine glänzende Beule an der Stirn, wo ihn wohl eines der größeren Insekten gestochen oder gebissen hatte. Timbare, Ijugis und Selke hatten darüber hinaus ihre Schlafdecken im Sumpf verloren, woraufhin Jacomer noch

Weitere Kostenlose Bücher