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Die Vergangenheit des Regens

Titel: Die Vergangenheit des Regens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tobias O. Meißner
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– »Miweme blaibt« – mit irgendeinem Sinn hätte anreichern können. Rodraeg verstand nicht, wie Timbare so ungerührt mit solchen Fahrlässigkeiten umgehen konnte. Dann jedoch begriff er, dass Timbare einer übergeordneten Form von Pragmatismus folgte: Nachdem Ijugis den Gataten ermordet hatte, war es sinnlos gewesen, sich noch darüber aufzuregen. Der Fehler war begangen worden und nicht mehr rückgängig zu machen. Nichtsdestotrotz konnte Rodraeg sich des Eindrucks nicht erwehren, von Blinden geführt zu werden. Timbare, der sich seine Hinweise widerstandslos durch Ijugis zerstören ließ, weil er dessen Unterstützung nicht verlieren wollte. Kinjo, der vergeblich und verzweifelt tanzte, ohne dass jemand Musik dazu spielte, und Rodraeg schließlich sogar ausgelaugt die Münze zurückgab, um derentwillen es beinahe zum Bruch gekommen war. Und Ijugis, der scherzend um Onouk herumbalzte, als ob ihm ihr Herz nicht schon längst gehörte, und der seine Männer durch aufmunternde Worte und derbe Scherze darüber hinwegtäuschte, dass er sie jederzeit im Wald zurücklassen würde, bis sie verrotteten, wenn es nur seinen von blindem Hass auf die Königskrone bestimmten Zielen diente.
    Bestar dagegen beschränkte sich in diesen Tagen darauf, nicht mit Migal aneinanderzugeraten, und auch dem Erleuchteten, so gut es möglich war, aus dem Wege zu gehen, denn sowohl dessen rote Augen als auch dessen andauerndes Affenmenschengefasel waren Bestar unheimlich. Der Klippenwälder hatte immer noch eine lebhafte, wenn auch eigenartig farbentleerte Erinnerung daran, in Eljazokads Traumwelt jenseits des Thostwaldes von Affenmenschen umgebracht worden zu sein. Von Affenmenschen, die wie Menschen aussahen und schrecklicher kämpften als jeder Klippenwälder.
    Tjarka Winnfess war die Einzige aus der Mammut runde, die sich in diesen Tagen an einem Platz befand, der ihr behagte, nämlich in der vorderen, erkundenden Hälfte einer einen leidenden Wald durchmessenden Forschungsgruppe. Sie hatte keine echten Spuren, an denen sie sich entlanghangeln konnte, aber sie hatte längst begriffen, dass Timbare und Kinjo es unbeeinträchtigt gut meinten mit diesem Wald. Also folgte sie ihnen, ohne Bedingungen zu stellen.

    Als sie am frühen Nachmittag des vierzehnten Tags ihrer Urwaldexpedition die sanftesten Ausläufer des Temé-Béku erreichte, war die Gruppe ein schmutziger, klebriger, bartstoppelüberwucherter Haufen aus torkeligen, ausgemergelt wirkenden Gestalten in zerrissener, fleckiger Kluft, und dennoch waren alle Erschöpfungen und Entbehrungen auf einmal wie weggeblasen – denn etwas unbenennbar Furchterregendes schwängerte hier die Luft mit dem Gestank von Verwesung und Schmerz.
    Â»Hier hat eine Schlacht stattgefunden«, witterte der Erleuchtete, und seine Augen trübten sich beinahe dunkelrot. »Folgt mir.«
    Sie umrundeten den Berg rechtsherum – einen steilen Kegel, dessen Spitze wie in Watte gehüllt schien und dessen Hänge braun und rötlich und gelb und schwarz schimmerten. Das Braune waren verdorrte Gewächse, das Rötliche gemahnte an rostige Tränen, die von der Spitze herabgeronnen und getrocknet waren, das Gelbe schien das schmutzige Gemenge aus Kalk- und Sand- und Bimsstein zu sein, aus dem dieser Berg eigentlich bestand, und das Schwarze waren Flecken erstarrter Schlacke. Die Wolkenwatte jedoch in der Höhe von ungefähr fünfhundert Schritt sah so rein, kühl und massiv aus, dass jedem, der dort hinaufschaute, der Durst im Mund und in den Nieren schmerzte.
    Sie marschierten noch etwa eine Drittelstunde unter der Bluthundführung des Erleuchteten. Dann sahen sie das Schlachtfeld. Unwillkürlich mussten sie alle an das große Kampfgewebe der Ameisen denken, aber hier lagen keine Insekten, sondern eingeborene Menschen, die sich alle gegenseitig massakriert hatten.
    Gataten. Etwa einhundert. Frauen, Kinder, Greise und nur wenige Männer im Kriegeralter. Kenekenkelu. Nur etwa zehn, aber auch sie lagen unbeweint inmitten der anderen Toten, von der Sonne zu eingefallenen Ledersäcken entwässert, jedoch rätselhafterweise von Insekten vollkommen unzerfressen. Die meisten Leichname waren voller Stich- und Hackwunden. Blut und Innereien waren ausgetreten und färbten den Boden dunkel und blasig, aber auch hier: keine Fliegenschwärme, keine Maden, keine Ameisen. Die gesamte Szenerie

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