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Die Vergangenheit des Regens

Titel: Die Vergangenheit des Regens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tobias O. Meißner
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Bestar gehalten und gerettet, Ijugis von Kinjo und Onouk gesichert und von Timbare wieder auf den Stamm gehievt.
    Die zweite Ameisenstraße war schmaler, weshalb sie mit anlaufunterstützten Sprüngen zu überwinden war. Hier handelte es sich um eine andere Art von Ameisen: rote, kräftig und kriegerisch aussehende Exemplare, die Baumrindenstückchen und Holzspäne transportierten, sodass es aussah, als würde zersplittertes Holz aufrecht über den Waldboden fließen. Beim Springen und Landen verstauchte Kinjo sich den Fuß und hinkte anschließend zwei volle Tage lang, bis die Beschwerden endlich nachließen. Um sich Einreibungen aus vertrockneten Kräutern machen zu können, entwickelte Kinjo eine Methode, mithilfe von Ästen, aufgespanntem Stoff und abgeschabter Baumrinde Morgentau zu gewinnen. So kamen jeden Morgen zwei, drei Handvoll kostbares, kühles Trinkwasser zusammen, von dem jeder einen winzigen Schluck einnehmen durfte. Einen Schluck, der kostbarer glitzerte als ein Diamant, besser schmeckte als der teuerste Wein und belebender wirkte als ein magischer Heiltrank.
    Am vierten Tag erreichten sie ein lautloses Schlachtfeld.
    Hier waren Heerscharen roter und rot-schwarz gestreifter Ameisen aufeinandergetroffen und töteten sich gegenseitig in unbarmherziger Härte. Es musste sich um Millionen von Tieren handeln. So weit das Auge reichte, war der Boden übersät mit Kampf, Verenden und Verzweiflung. Lebendigen Leibes zerteilten sich die Tiere gegenseitig mit ihren Kieferzangen. Die bulligen Roten, deren Köpfe viel größer und massiver wirkten als die schlanken, beinahe anmutigen der Gestreiften, waren in der Minderzahl, machten diesen Nachteil jedoch durch ihre robusten Leiber und ihre grimmigen Attacken wett. In der Gesamtheit allen Mordens war ein leises Knistern zu hören, das die Mitglieder der Menschenexpedition erneut an fernen Regen erinnerte.
    Â»Was früher Regen war, ist nun Krieg«, sagte Kinjo, der ganz mitgenommen aussah angesichts dieses furchtbaren, in seinen entsetzlichen Details kaum zu ertragenden Massakers.
    Timbare fügte hinzu: »Möglicherweise ist dies die größte Schlacht, die es je auf diesem Kontinent gegeben hat. Noch nie standen sich dermaßen viele Menschen oder Menschen und Affenmenschen gegenüber. Aber hier, unter dem Verlust des Regens, unbemerkt von allen, tobt das schrecklichste Gefecht aller Zeiten.«
    Â»Wir sind Zeugen«, hauchte Kinjo beinahe unhörbar. »Wir werden uns eurer erinnern.«
    Die Schlacht zu umgehen erwies sich als aufwendig. Die Randbereiche des millionenfachen Kämpfens wurden von äußerst aggressiven Ameisentrupps durchkämmt. Die Menschen wurden erklettert, gebissen und mit Ameisensäure bespritzt. Die Umrundung wurde weitläufiger und weitläufiger. Am Ende dauerte es drei Stunden, bis sie jenseits des Schlachtfeldes wieder die vormalige Richtung einschlagen konnten.
    Der Weg erwies sich im Laufe der fünf Tage mehrmals als trügerisch. Es gab keine Spur, der Tjarka folgen konnte. Es gab keine Himmelsrichtung, der man vertrauen konnte. Es gab nur den Anblick des Berges, der immer wieder zwischen Baumruinen auftauchte oder durch das Erklettern einer solchen durch Onouk, Jacomer oder Tjarka bestätigt werden musste. Dieser Pfad jedoch, der sich anhand eines Luftlinienanblicks herauskristallisierte, führte oftmals durch extrem unwegsames oder sogar schlichtweg unpassierbares Gelände. Dornige Heckenfelder, aus dem mürbe gewordenen Boden gebrochene Laubgehölzhaine und eingerissene Schluchten versperrten das Weiterkommen, sodass die eine Hälfte der Gruppe – Timbare, Kinjo, Tjarka, Tegden, Jacomer und der Erleuchtete – die ganze Zeit über damit beschäftigt war, eine Passage jenseits des Pfades zu erkunden und zu bahnen, einen beständigen Umweg, der in Schlangenlinien und Schraffuren zum Ziel hinführte, während die andere Hälfte – Ijugis, Onouk, Rodraeg, Bestar, Migal und Ukas – hinterdrein taumelte, einzig darauf bedacht, nicht selbst zu stürzen.
    Rodraeg fühlte sich in diesen Tagen zunehmend von der Expedition und ihrem Vorgehen entfremdet. Nachdem Timbare ihm das Testament des Schatzfinders gezeigt hatte, hielt Rodraeg es mehr denn je für unverzeihlich, dass Ijugis Enenfe getötet hatte. Der Gatate wäre der Einzige von ihnen gewesen, der die rätselhaften letzten Worte des Schatzfinders

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