Die vergessene Frau
beschützen musste. Er hatte seine Kinder schon zu oft im Stich gelassen. »Was soll ich denn sonst tun?«
Franny überlegte lange. Als sie Max wieder ansah, wirkte sie vollkommen ruhig. »Sie sollen glauben, ich wäre bei dem Unfall gestorben.«
Bis zu diesem Zeitpunkt hatten sie Frannys Vorhaben, ihren eigenen Tod vorzutäuschen, nicht weiter ausgefeilt; sie hatten noch nicht über die Einzelheiten entschieden. Max und sie hatten angenommen, dass sie das erst in Angriff nehmen müssten, wenn sie sichtbar kränker wurde. Der Unfall hatte einerseits ihren Zeitplan über den Haufen geworfen, andererseits schien es die beste Lösung angesichts dieser Katastrophe. Der armen, tragischen Olivia konnten sie nicht mehr helfen, doch auf diese Weise würde Gabriel wenigstens nicht für den Tod seiner Schwester verantwortlich gemacht werden. Franny würde ein paar Monate ihres bisher gewohnten Lebens opfern müssen – denn danach gäbe es kein Zurück mehr. Aber das erschien ihr als kleines Opfer, wenn sie dadurch ihrem Stiefsohn helfen konnte.
Max und Franny kamen überein, dass so wenig Menschen wie möglich eingeweiht werden durften, damit keine Einzelheiten durchsickerten. Ihre einzige Komplizin war Hilda, die treue Hilda, die alles für den Mann tun würde, für den sie fast ihr ganzes Leben gearbeitet hatte. Hilda half dabei, Franny nachts in eines der Gästehäuser zu schmuggeln, und erklärte sich bereit, sie zu versorgen, wenn sie kränker würde.
Was Max’ Kinder anging, wurde verkündet, dass Olivia sich auf Stanhope Castle zurückgezogen hatte. Da überall bekannt war, dass sie unter psychischen Problemen litt, zog niemand diese Geschichte in Zweifel. Gabriel musste sein Studium unterbrechen und wurde nach Europa geschickt, bis sich der ganze Trubel gelegt hatte. Er hatte sich widerstrebend mit dem Plan einverstanden erklärt, allerdings stand er zu sehr unter Schock, um widersprechen zu können. Er gab sich die Schuld an dem, was in jener Nacht passiert war, und wollte so weit weg wie möglich von allem, was ihn an Olivia erinnerte.
Niemand bezweifelte, dass Franny in jener Nacht gestorben war. Schließlich war sie schon einmal mit dem Auto verunglückt, und es war allgemein bekannt, dass sie in letzter Zeit nicht sie selbst gewesen war.
Am Tag der Beerdigung konnte jeder Max’ Trauer sehen – aber niemand ahnte, dass er um seine Tochter trauerte, nicht um seine Frau.
An jenem Abend saß Max bei Franny. Damit gab es keine Umkehr mehr; jetzt mussten sie sich dem stellen, was auf sie zukommen würde.
Aber Franny saß beinahe gelassen im Bett in ihrem großen, fröhlichen Zimmer. Darauf hatte sie bestanden – dass sie nach draußen sehen konnte, dass sie von Farbe umgeben war und nicht in einem grauen Gefängnis wie dem Mayfield Hospital weggeschlossen wurde.
»Eine letzte Sache musst du noch für mich tun«, erklärte sie Max an jenem Abend. »Um einen letzten Gefallen muss ich dich noch bitten.«
Darüber hatte sie sich den Kopf zerbrochen, seit sie von ihrer Krankheit erfahren hatte. Sie hatte ihrer Mutter Theresa geschrieben, ihr von ihrer Krankheit erzählt und ihr erklärt, wie sehr sie sich wünschte, Cara würde nach Kalifornien zu ihr kommen. Das war inzwischen mehrere Wochen her, ohne dass sie seither von ihrer Mutter gehört hatte, und das machte ihr zunehmend Sorgen – weshalb sie Max’ Hilfe brauchte. Sie hatte so lange gewartet, wie sie konnte, weil sie wusste, wie sehr er unter Olivias Tod litt. Aber jetzt ließ sich das nicht mehr herausschieben.
»Versprich mir, dass du das für mich tust«, bat sie ihn nun. »Auch wenn du ganz und gar nicht mit dem einverstanden bist, worum ich dich bitte.«
»Ich tue alles. Alles, worum du mich bittest.«
Dann sagte sie: »Ich möchte, dass du mir meine Tochter bringst.«
Epilog
»Franny hat Ihnen von mir erzählt?« Cara war anzuhören, dass sie das kaum glauben konnte.
Seine Geschichte hatte alle Fragen beantwortet: wer damals in dem Auto gelegen hatte; warum man Olivia nie wieder gesehen hatte; und warum Gabriel zehn Jahre nicht mehr mit seinem Vater gesprochen hatte – nicht weil er Max hasste, wie alle angenommen hatten, sondern weil er schuld am Tod seiner Schwester war. Wie Max weitererzählte, hatte er von Gabriel erfahren, dass Duke der Vater von Olivias Kind war, und daraufhin dafür gesorgt, dass ihn kein Studio in der Stadt mehr beschäftigte, womit er im Gegenzug für das Leben seiner Tochter die Karriere des Schauspielers
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